In meinem Leben habe ich bis jetzt viele Prüfungen abgelegt. So viele, dass ich sagen kann, dass jene, welche angekündigt sind und mit fester Uhrzeit und abgesteckten Prüfungsrahmen meist weniger schlimm sind als die unangekündigten, die das Leben als Prüfung haben.
Jetzt stehe ich also wieder vor einer angekündigten Prüfung. Bei der Industrie-und Handelskammer Bilanzbuchhalter. Das klingt wie Hüttenkäse auf Knäckebrot – vernünftig, gesund und wenig spannend. Die meisten wissen, was Buchhalter sind. In Filmen sind wir immer jene mit den Hemdkrägen, ein wenig übergewichtig und treudoof, selbst der Mafia gegenüber. Der Unterschied zwischen Buchhaltern und Bilanzbuchhalter liegt an jener Prüfung. Es ist eine Meisterprüfung. Es befähigt zu mehr.Sagt man sich.
Die Prüfung besteht aus 3 Teilen. In Teil A werden zwei Prüfungen abgelegt. Kosten-und Leistungsrechnen und irgendwas mit Finanzmanagement. Ich habe diesen Teil schon letztes Jahr bestanden. Nach Teil A kommt Teil B. In Teil B werden vier Prüfungen gefordert. Da stehe ich jetzt kurz davor. Die vier Prüfungen sind unterschiedlich lang. Von eineinhalb Stunden bis zu vier Stunden. Die Große nennt sich Jahresabschluss national. Da muss man dann Spinnereien zwischen Handelsbilanz und Steuerbilanz regeln. Wobei es für die IHK gar keine extra Steuerbilanz gibt. Da gibt es dann außerbilanzielle steuerliche Korrekturen.
Es gibt aber eine extra Steuerlehreprüfung. Da werden dann die beliebten Steuerarten dieses Landes zu Fuß ausgerechnet. Umsatzsteuer, Gewerbesteuer, Körperschaftssteuer, Einkommensteuer, Lohnsteuer. Wäre ja halb so schlimm, wenn man das Ganze nicht alles mit Gesetzesnachweisen unterfüttern müsste.
Aber es gibt auch einen weiteren netten Ausflug in die internationale Rechnungslegung. Nennt sich IFRS – International Financfirlefanz Reporting Standard. Nachdem ich mir diese Regeln und Vorschriften angesehen habe, hatte ich das Gefühl, die Bankenkrise zu verstehen. Nein, ich bin ein Fan. Alles so positiv. Während das deutsche Recht sich immer an die Gläubiger richtet, richtet sich das Internationale gerne an die Investoren. Da möchte man dann das Potential bilanzieren.
Zum Schluss noch Berichterstattung. Wird mein Highlight. Aus Zahlen und Strömen sagt man dann etwas über die Lage, in der man sich so befindet.
Das ist also der Teil B. An den Teil C denkt ich gar nicht. Das ist eine mündliche Prüfung, die einen gerade aus den Fingern gesaugten Vortrag als tragendes Element hat. Mit anschließendem Fachgespräch. Teil B hat eine Durchfallquote von 50%. Diese Kennzahl kennen alle Teilnehmer. Nur die Hälfte wird durchkommen beim ersten Versuch. Klingt traurig, ist aber so. Macht mir deswegen keine Angst. Zeigt nur, dass es eine ernsthafte Prüfung ist. Red ich mir ein. Natürlich will ich bestehen. Kein Mensch tritt zu irgendwas an, wenn er nicht bestehen will. Irgendwie hab ich auch Angst. Es gibt in Prüfungen so einen Moment, da denkt man, man zerfließt und es bringt sowieso nichts mehr. Hinterher weiß man, dass man nur die Nerven verloren hat und man alles gekonnt hätte, wenn nur die Nerven hätt behalten können. Alle Vorbereitung zielt letztendlich darauf ab, diesen Moment abzufangen.
Ich bereite mich alleine vor. Im Fernlehrgang seit über einem Jahr. Jeden Monat schicke ich einsam meine gelösten Aufgaben zu einem Teilbereich hin und kriege sie korrigiert zurück. Irgendwann war ich am schwimmen. Keine Ahnung, was jetzt eigentlich wichtig ist und was nicht. Ein heilloses Durcheinander. Da bin ich zu einem Kurs gefahren. Eine Woche Intensivprüfungsvorbereitung. Großes Kino.
Neben mir eine Frau um die 50, die ihre Gesetze in perfekter Etikettierung vor sich liegen hat. Gespitzter Bleistift, ein Haufen Süßigkeiten. Sie sagt, sie habe einen Burn out gehabt in ihrem alten Job und versucht sich jetzt neu zu orientieren. Jetzt habe sie aber begriffen, dass diese Prüfung ein ganz schön steiniger Weg wäre. Sie glaube eh nicht, dass sie es schafft. Zweifel ist wie Gift hier. Es gibt eine Reihe Zweifler. Ich gucke neidisch auf ihre wunderschön vorbereiteten Gesetzestexte und sag, das glaube ich nicht. Der Zigarettenkonsum ist wie in den 80ern. Alle stehen vor der Tür und rauchen. So viele Raucher hab ich schon lange nicht mehr auf einen Haufen gesehen. Manche erzählen ihre Geschichte. Einige haben Angst um ihren Job, andere wollen mehr von ihrem Job. Zu Hause mache ich dann auch Fähnchen an meine Gesetze. Ich hab nämlich auch die Hosen voll, so is es ja nich.
Ich mache das aber grundsätzlich wegen etwas anderem. Natürlich wegen dem Job, aber vor allem wegen der Zukunft an sich. Ich bin hier wegen der Falle. Der großen Falle in den Biographien von Müttern. Jenen, die sich um Kinder kümmern und keinem Job mehr nachgehen. Oder doch einem Job nachgehen, der sich aber nicht mehr wesentlich verbessert. Und der sich damit in der großen Jobmühle inflationär verschlechtert. Ich bin hier, um mir einen Wimpernschlag Zeit zu verschaffen und die Inflation ein wenig aufzuhalten. Natürlich ist das eine Illusion. Jeder will ankommen. Beruflich, privat. Im Leben halt. Das Leben ist nur kein Stillstand. Man kommt einfach nicht an. Man schwimmt halt weiter. Gut, dann ruhe ich mich auf der nächsten Sandbank aus. Bestimmt. Versprochen.
Vielleicht habe ich auch einen perversen Hang zu Prüfungen. Ich mag das echt. Nachts lernen, strukturelle Vorbereitung. Ich hab immer das Gefühl, ich versteh bisschen mehr von der Welt. Aber je älter ich werde, desto schwerer fällt es mir. Ich konnte vor 5 Jahren noch mehr reißen am Stück. Heute kann ich unter Wasser nicht mehr so lange den Atem anhalten. Metaphorisch gesprochen.
Vielleicht träume ich auch davon, dass ich einfach besser werde. Ich stöbere gerne in den Bilanzen von großen Firmen herum. Umsatzerlöse von Haribo in Bonn, zum Beispiel. Find ich interessant. Oder den Hinweis, dass irgendein Maismehlzeug dort im Lager nach einer steuerlichen Außenprüfung anders bewertet wird als andere Vorräte. Da stell ich mir vor, wie man zwischen Wirtschaftsprüfern und Steuerprüfern Fachgespräche führte und sich auf eine Bilanzierung von Maismehlzeug einigte. Nach hitzigen Diskussionen.
Vielleicht gehöre ich auch einfach zu den Menschen, die sich was in den Kopf setzen und dann aufhören, darüber nachzudenken. Mach ma, is halt so. Ich habe mich angemeldet mit nur einer wagen Vorstellung, wie umfangreich das alles tatsächlich ist. Und jetzt bin ich eben auf der Spur.
Wünscht mir Glück.
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15 Comments
*thea
24. Februar 2016 at 09:40puuuu steuern habe ich gehasst im Bwl Studium – Respekt vor allen, die sich diesen beruflichen Weg ausgesucht haben – aber das Maismehl-Beispiel zeigt glaube ich sehr deutlich, dass du da schon hingehörst 😀 Viel Glück und Erfolg – ich winke von meiner Sandbank!
fadenvogel
24. Februar 2016 at 10:45Ich bin Steuerfachangestellte. Das macht mir also weniger Sorgen. Sonst wär das schon ziemlich abstrakt mit den Steuern. BwL studiert hab ich ja nicht. Ich hab Geschichte studiert. 🙂
Danke für das Glück.
Hana Mond
24. Februar 2016 at 10:07Ich wünsche viel Erfolg bei den Prüfungen! 🙂
fadenvogel
24. Februar 2016 at 10:43Danke!
carmen
24. Februar 2016 at 14:58Ich finde es spannend, wofür du dich interessierst. Schön, mit wie viel Begeisterung du davon erzählen kannst. Finanzen sind für mich Fakten ohne Emotionen.
Begeistern können mich andere Sachen. – Wo ich dich aber absolut verstehen kann ist das weiterbilden und weiterkommen. Kann ich mir wirklich vorstellen, das die nächsten 40 Jahre zu tun oder möchte ich nicht doch noch dazu lernen….
Viel Glück bei deinen Lernschritten!
Carmen
fadenvogel
24. Februar 2016 at 15:20Fakten sind es eben nicht. Da liegt ja der globale Wurm begraben. Das Bruttoinlandsprodukt beispielsweise läßt Umwelt, Familienarbeit und Lebensqualität völlig außer Acht. Da wird Wertschöpfung nur nach messbaren Dienstleistungen und Gütern berechnet. Diejenigen, die diese vermeintlichen Fakten weitergeben, wissen das und maulen deswegen auch schon rum. Was passiert mit globalen Fakten, wenn diese Punkte in messbarer Größe mit eingerechnet werden? Verschwinden wir dann von Platz 1 oder nicht? Nur so als Beispiel. Viel Emotion. Aber es war auch für mich ein langer Weg, bis ich meine persönliche Begeisterung für Finanzen entdeckt habe. Und sie tauchen nicht in jedem Lebensbereich mit der gleichen Bedeutung auf. Und ja, sie sind bei weiten nicht immer interessant. Unternehmensdaten und so. Na ja. Ich muss da in meinen Hüttenkäse auf Knäckebrot auch manchmal viel Honig untermischen, damit des ein ordentliches Leckerli wird….:-)
uli
25. Februar 2016 at 19:42Also ich kenn nur coole (Bilanz)Buchhalter – tja Regel wieder mal bestätigt. Und obwohl ich die Gespräche mit unserer Buchhalterin liebe, kann ich es beruflich nicht machen, weil ich einfach mehr fürs Grobe bin – ich hätte ja einmal bei einem Jahresabschluss fast den Centausgleich aus eigener Tasche bezahlt, weil es mich einfach nur mehr noch genervt hat.
Ich halt dir auf alle Fälle die Daumen, aber schließlich muss auch wer die 50% sein, der die Prüfung schafft. Auf die Flosse und tret die Wuchtl, wie der Mundl sagen würde 🙂
glg Uli
Bavarian Beats Festival mit Karin Rabhansl, Mathias Kellner und Dreiviertelblut | Fadenvogel
27. Februar 2016 at 14:41[…] macht das Hirn frei. Einmal durchpusten. Brauch ich. Wisst ihr eh. Gestern war in Tölz der Auftakt zum Bavaria Beats Festival. Ausverkauftes Kurhaus. Der […]
Simone
29. Dezember 2017 at 01:03Hallo, ich habe den Teil B in diesem Herbst hinter mich gebracht. Deine Worte kann ich so gut verstehen! Wie aus der Seele gesprochen. Ich hoffe, du hast es am Ende geschafft!
Ümran
23. Januar 2018 at 13:11Hallo, 🙂
ich würde soo gerne wissen, ob du es geschafft hast? Ich bereite mich auch auf die Prüfung vor und zweifle an mir, ob ich es schaffen werde oder nicht.
Liebe Grüße
fadenvogel
27. März 2018 at 20:56Ja, ich habe es geschafft.
steffi
27. März 2018 at 18:02Hallo Fadenvogel, ich bin eine Leidensgenossin, das Wissen nimmt zu, die Freunde nehmen ab…
Christian
30. April 2019 at 23:34Ein sehr schöner Blog-Eintrag.
Monika
11. September 2020 at 21:39Hallo liebe Sabine :). Herzlichen Glückwunsch ?.
Ich lerne gerade für die Bibu Prüfung und bin so verzweifelt ?. EStG Teil hat mich gerade fertig gemacht.
Kannst du bitte ?? schreiben worauf soll man sich am besten konzentrieren? Meine Kollegin hat z. B. nur alte Klausuren geschrieben und fast 0 gelernt … und sie hat die Prüfung bestanden !
Ich lerne sorgfältig jeden Tag nach der Arbeit aber wenn ich die Einsendenaufgaben mache, fällt mir das alles irgendwie schwer aus.
Liebe Grüße
fadenvogel
12. September 2020 at 14:30Das kommt echt darauf an, was für ein Lerntyp du bist. Du musst dir ein Schema zulegen, nachdem du antwortest. Es ist Fleiß, aber auch bisschen Glück dabei. das gebiet ist einfach rießig.