In der Medienerziehung meiner Jungs bin ich nostalgisch. So, als ob Pumuckl und Pippi Langstrumpf irgendwie besser wären als die Minions. Wie jede Elterngeneration vor mir versuche ich, die Helden meiner Kindheit hochzuhalten und blicke mit höchster Skepsis auf die Horde Eisprinzessinnen und die Gelbeinaugenknirpse.
Mit einem Grinsen habe ich so festgestellt, dass mein einer Sohn ein ernsthaftes Auge auf Pippi Langstrumpf geworfen hat. Manchmal erwähnt er sie fachmännisch. Wenn ich zum Beispiel versuche, das Gartentor auszuhebeln und er mir mit seinen Patschehänden unterstützend zur Seite springt, sagt er Dinge wie: Jetzt brauch ma Pippi Langstrumpf.
Figuren, die ich wage von meinem eigenen Früher kenne, werden bei mir automatisch als positiv registriert. Also gucken wir Pippi Langstrumpf an.
Ich schlucke ein bisschen, nachdem das Wort Negerkönig zum fünften Mal auftaucht und schiele zu meinen Kindern. Soll ich jetzt sagen, dass des kein Wort ist, dass man heute noch benutzt? Soll ich jetzt ganz ausmachen? Soll ich einfach abwarten, ob sie das Wort überhaupt registriert haben? Wieso ist mir das nicht früher aufgefallen? Haben wir wirklich als Kinder vom Negerkönig gesprochen? Wieso ist es nicht komisch, dass er da König ist? Kolonialgeschichte is ja ned grad ne Erfolgsstory, die man so unreflektiert Kindern rüberbringen sollte. Aber gut, ich mache weiter mit meiner Pippi Langstrumpf Medienerziehung und warte einfach ab.
Pippi, Tommy und Annika machen sich ständig zu irgendeinem Ausflug fertig. Erst ist es mir gar nicht gekommen, aber es ist immer Annika, die die Brote schmiert. Pippi und Tommy machen nie so was wie Brote schmieren. Klar, Frauenarbeit.
Pippi, Tommy und Annika starten mit einem selbstgebauten Flugzeug nach Taka Tuka. Ich mache kurz die Augen zu und hoffe, es ist nicht Annika, die die Pedale treten muss. Doch, ich gucke wieder hin. Annika strampelt, Tommy steuert das Flugzeug. Natürlich steuert er das Flugzeug. Er ist der Junge. Pippi rennt und rennt. Danach fliegt es und sie wechseln die Positionen. Tommy muss gar nichts mehr machen. Annika darf steuern.
Gut, Pippi ist ein Mädchen. Aber Pippi ist ein Übermädchen. Eine Kunstfigur. Der Troll in der Geschichte. Es geht auch meinen Kindern darum, mit Pippi befreundet zu sein. Sie hat den Koffer voller Gold und kauft immer allen Kindern, was die wollen. So sollte Freundschaft ja auch funktionieren. (Haha)
Aber die Identifikationsfiguren in der Geschichte sind Tommy und Annika. Und nicht nur, weil ich hier nur Söhne habe. Vielleicht ist es bei Mädchen anders. Vielleicht sehen sie sich eher als Pippi Langstrumpf. Aber Annika ist das eigentliche Mädchen. Und sie verhält sich auch genau so. Auf der einsamen Insel ist sie es, die kreischt und vor den wilden Tieren wegläuft. Tommy hat zwar auch gestrichen die Hosen voll, aber er bleibt nur kreidebleich. Jungs weinen halt nicht. Annika schmiert Brote. Und als Annika auch noch anfängt, die Kleidung von Pippi und Tommy zu waschen, da stirbt irgendwo in mir eine bunte Fee.
Gut, was will man auch von einer Geschichte von vorgestern erwarten. Alle starrten sie gebannt auf Pippi und ihre rotzfreche Art. Das Mädchen, dass es geschafft hat, ein Draufgänger zu sein. Der Punk, das feministische Urgestein. Was habe ich in die Hände geklatscht, als meine Kinder sich dafür interessierten. Ja, jetzt zeig ma euch mal, wie des so ist mit den starken Mädels. SO sollten Frauen sein, aussehen und sich benehmen. Spuckend und prügelnd sollten sie sein.
Aber ich sitze zwischen meinen Kindern beim sonntäglichen Kinonachmittag und sehe Annika beim Kleiderwaschen zu. Annika, wie konnte ich dich vergessen! Du bist ja noch da und zeigst uns ganz genau, wie man sich als normales Mädchen so zu verhalten hat. Also alle Mädchen, die kein Pferd stemmen können. Also alle anderen.
Wie viele Generationen werden noch ins Land gehen, bevor man beiläufig einen Tommy beim Brote schmieren und Kleiderwaschen sehen wird?
Es ist nicht das Laute, dass mir Sorgen macht, sondern immer nur das Leise. Die leisen Selbstverständlichkeiten. Mir fällt es auch, meinen Kindern nicht. Wie auch. Sie nehmen alles so hin. Ich beginne, im Netz nach kritischen Stimmen zu Pippi Langstrumpf zu suchen. Aber es geht da vor allem um Kolonialgeschichte. Sonst passt alles. Annika wird nicht gesehen. Bei MakellosMag treffe ich auf weitere Links zu einer gesellschaftskritischen Auseinandersetzung mit Bibi Blocksberg und co. Interessant. Benjamin Blümchen als Wutbürger aus Stuttgart, Familie Blockberg als angepasstes Familienidyll. Doch Pippi schneidet überall ziemlich gut ab. Sie ist halt immer noch cool.
Mein fast Vierjähriger träumt jetzt also davon, ein Mädchen wie Pippi kennen zu lernen- stark, ein Koffer voller Gold und ein Pferd auf der Veranda. Findet er großartig. Nur manchmal weint er, wenn es um den Papa geht. Warum der nicht da sei. Warum der denn mit einem Schiff wegfährt. Gut, der Film ist auch erst ab 6 Jahren und so streichle ich ihm über den Kopf und beschwichtige. Der kommt doch wieder. Diese Anflüge sind kurz, denn die meiste Zeit sitzen wir da und Pippi macht irgendeinen Käse…da schielen sie zu mir rüber und warten ab. Ich (als Mutter, bei der man im Wohnzimmer keinen Eimer Wasser ausschütten darf) werde dann aufgefordert zu fragen, ob man denn das jetzt auch bei uns machen dürfe. Nein, kommt dann der lachende Chor. Des darf man nur bei Pippi. Wird Zeit für Ronja Räubertochter.
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4 Comments
Anni
9. Juli 2016 at 12:11Jaaa, danke! Seitdem ich Pippi Langstrumpf wieder mit meinen Kindern schaue, fällt mir auch Annika als extrem braves, angepasstes und reinliches Mädel auf – ist es früher nie. Da krampft sich in mir immer alles zusammen. Allgemein ist das aber so, bei den Büchern von Astrid Lindgren – außer vielleicht bei Ronja Räubertochter, da ist es nicht so extrem. Aber auch die Kinder aus Bullerbü oder die Krachmacherstraße (die ich als Kind beide nicht gelesen habe und darum erst als Erwachsene kennengelernt habe) habe ich schnell wieder aus dem Kinderzimmer verschwinden lassen… Früher war nicht alles besser 😉
Frau Margarete
10. Juli 2016 at 14:21Ein sehr interessanter Beitrag. Ich mochte Pippi auch immer gerne, auch heute noch, aber schaue es nicht mehr regelmäßig 😉 Ich sehe das Problem und finde auch, das man das kritisch hinterfragen sollte. Ich finde es gut, dass du dir Gedanken darüber machst, welches Bild von Mädchen dort vermittelt wird.
Aber gleichzeitig sollte man vielleicht auch die Perspektive der Kinder nicht vergessen. Ich kann nicht sagen, dass ich von Annika geprägt wurde – und wie du sagst: sie ist generell nicht sehr präsent. Tommy und Annika dienen ja in erster Linie dazu, einen Kontrast zu Pippi darzustellen. Natürlich ist es kritisch, dass die brave Annika als „die Normale“ gilt, aber ich denke, Kinder nehmen ja aus den Geschichten gerade mit, dass es GUT ist, anders zu seien, stark zu sein, auszubrechen. Deswegen verstehe ich, was du meinst und finde den Artikel gut, aber ich glaube, ganz so kritisch sehe ich das nicht, weil Annika eben gerade nicht die Identifikationsfigur ist.
*thea
11. Juli 2016 at 16:01Ich habe als Kind oft auch alte Bücher von meinen Eltern gelesen – klar, da war ich älter als deine Jungs. Und natürlich auch Pippi und sowieso alle von Astrid Lindgren. Und ich glaube, bei solchen Begriffen wie „Neger“ oder ähnlichen – gibt ja auch politisch korrekte Begriffe, die wir nicht mehr verwenden – war mir immer bewusst unterschwellig – oder nach dem nachfragen bei meinen Eltern halt, dass es früher eben normal war und man es jetzt nicht mehr so macht. Solche alten Geschichten haben mich im Nachheinein glaube ich eher sensibel für Sprache gemacht und dass sich Zeiten eben ändern.
Dass Pippi und Annika Phänomen ist mir so auch noch nicht aufgefallen, wie du es siehst. Ich dachte immer, dass Pippi motivieren soll, anders zu sein. Jungen aber vor allem auch Mädels. Problematisch finde ich da eher den Gedanken, dass es ziemlich hervorgehoben wird, dass Pippi ja nicht mal weiß, was drei mal drei ist, aber trotzdem ein cooles Leben führt obwohl sie ungebildet ist – andererseits wird ja auch immer betont, dass sie das Herz am rechten Fleck hat und für Gerechtigkeit eintritt. In München sieht man übrigens öfter den Spruch „Sei Pippi – nicht Annika“ gesprayt. Ich hatte das mal abfotografiert und darüber gebloggt – lustigerweise mein bisher meist aufgerufener Artikel – man glaubt gar nicht wie viele Menschen nach „Sei Pippi – nicht Annika Bedeutung googlen“ 😉
Tanja
12. Juli 2016 at 12:53Ich habe auch eher das Gefühl, dass Tommy und Annika als Kontrast dienen sollen. Als Kind fand ich Annika jedenfalls immer doof, genauso wie das kleine Mädel bei den Fünf Freunden – Anne hieß sie glaub ich – die sich immer vor allem gefürchtet hat. Den Negerkönig kann man, finde ich, schön zum Anlass nehmen, den Kindern zu erklären, dass man früher anders mit Menschen umging, und heute zum Glück keine despektierlichen Bezeichnungen aufgrund der Hautfarbe verwendet (bzw. sollte). Ich finde es ein bisschen kritisch, Originalwerke auf ‚politisch korrekt‘ zu redigieren. (Passiert nicht nur bei Pipi, sondern auch bei Michael Ende – das bei Jim Knopf sehr klischeehaft dargestellte China wird da zum fiktiven Mandala und Ottfried Preußler – der kleine Wassermann trifft keine Zigeunerjungen mehr, sondern nur noch eine Gruppe Jungen.) Andererseits entspricht das oft tatsächlich dem Willen der Autoren, die sich ja auch nach dem Schreiben ihrer Werke mit der Zeit entwickeln und erkennen, dass das früher Geschriebene so nicht in Ordnung ist. Charles Dickens hat z.B. in späteren Versionen von Oliver Twist alle Referenzen auf die jüdische Religion seines Schurken Fagin rausgenommen, so dass er jetzt einfach ein schmieriger Verbrecher ist, kein schmieriger jüdischer Verbrecher. Nimmt der Geschichte an sich nichts, und dient eben nicht mehr der Verbreitung von Vorurteilen.
Wie auch immer, wir haben gerade Ronja Räubertochter gelesen, die ich als Kind geliebt habe, und ich habe bei der Beziehung zu Birk ziemliches Bauchweh bekommen: Ronja ist bei aller Wildheit in seiner Anwesenheit viel zahmer, lässt sich retten, sitzt tatsächlich passiv rum und wartet auf den Tod oder das Erscheinen eines Retters, und wandelt sich, sobald er da ist, von der wilden Kämpferin zur fürsorglichen Ernährerin und Pflegerin. Das ist jetzt etwas überspitzt ausgedrückt, aber meine Heldin hat beim Lesen mit erwachsener Perspektive schon ein bisschen einen Knacks bekommen. Meine Kinder haben das sicher so nicht mitgekriegt, und ich bin ja generell eine von diesen nervigen Müttern, die das Vorgelesene kommentiert, wenn’s ihr nicht passt. Offen drüber reden ist alles. 🙂
Wenn ihr aber tatsächlich extrem überkommene Klischeerollenbilder haben wollt, lest mal die Schlümpfe. Schlumpfine liebt rosa, hat hundert Paar Schuhe, interessiert sich ausschließlich für Äußerlichkeiten, schmachtet dem starken, heldenhaften Hefty hinterher, schickt die Schlümpfe raus, wenn sie backen will, weil sie in der Küche sowieso nur stören, und und und… Bläh!