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Erinnerungen an Berlin

Berlin_is goneVor über 10 Jahren bin ich in diese Wohnung gezogen. Als ich hier ankam, war ich ziemlich demoliert. Ich bin in München geboren und aufgewachsen, aber ich habe auch eine Zeit lang in Berlin gelebt. Ich bin dorthin seither nicht mehr zurückgekehrt und werde es wohl auch nicht. A tribute.

Berlin ist eine Stadt aus Städten. Groß und alles. Ich habe nie verstanden, wo ihr Herz liegt und mein eigenes habe ich dort schließlich auch verloren.

Mein damaliger Freund zog mit mir mit. Eine spontane Aktion, denn Berlin war der große Traum der pochenden urbanen Freiheit. Mein Freund ist Koch und arbeitete dort auch als Koch. Er war älter als ich. Unsere Lebensrealität bröckelte schnell. Ich suchte mir Vorlesungen aus, er besuchte das Arbeitsamt. In Berlin wurden wir bald zu Tag und Nacht, Schatten und Licht. Er war auf der Schattenseite, ich trank Latte Macchiato. Nachdem unsere Beziehung zerbrochen ist, haben wir oft gesagt, wir sind in Berlin geblieben. Der Teil mit dem wir. Unser Wir ist dort geblieben und wir sind als ich und er zurückgekommen.

In Berlin brauste mir ein Sturm aus Vorurteilen entgegen. Ich tat mir nicht leicht mit meiner Identität. Ich tat mir nicht leicht, aus München zu kommen. München, die Teure. München, die Schicke. München, das Provinznestchen. München Möchtegern.

Ich war in Berlin gerne auf Flohmärkten unterwegs. Meistens alleine, weil mein Freund andere Uhrzeiten hatte. Überhaupt erinnere ich mich sehr viel an Dinge, die ich dort nur solo gemacht habe. Ich habe mir sehr viele Schwimmbäder angesehen, weil ich eine Zeit lang regelmäßig schwimmen gegangen bin. Von all diesen Orten und Zeitpunkten habe ich keine Fotos. Damals gab es noch kein Smartphone mit integrierter Sharing-Taste und auch sonst hat man wenig über Fotos mitgeteilt.Klar, es gab schon immer Hobby-Fotographen, aber dazu gehörte ich nicht. Ich fotografierte deswegen nicht. Das kam einfach nicht vor.

Worte wie Shabby chic oder vintage habe ich in Berlin gelernt. Wenn in München ein neuer Laden aufmachte und er gewollt abgerissen aussehen sollte, haben wir Münchner das immer mit Augenrollen kommentiert. Die wollen jetzt einen auf Berlin machen hier. Trotzdem faden wir es cool. So ist das mit Berlin. Wir finden es trotzdem cool und suchen im KaDeWe Augustiner-Bier.

Und ich erinnere mich an den weltbesten Cheesecake, den ich jemals gegessen habe. Mein Freund hat ihn mir mal nachgebacken und behauptet, er hätte das Rezept jetzt herausgefunden, aber er schmeckte nicht mehr so wie in dem kleinen Café irgendwo in einer Seitenstraße. Wie ein Rotwein, den man aus einem Urlaubsort mitgebracht hat, daheim schal schmeckt. Sie nannten ihn in dem Café tatsächlich Cheesecake und nicht Käsekuchen.

Den Anschluss, den ich fand, bestand aus einer diffusen Gruppe aus hippen Studenten, die in Altbauwohnungen Dosenbier ausschenkten. Da habe ich gemerkt, dass ich aus München komme, denn Bier aus Dosen gibt es hier tatsächlich nicht. Die Bierdosen standen auf dem Balkon, damit sie kalt bleiben. In allen Wohnungen faden sich noch Heizöfen, deren korrekte Befeuerung wissenschaftlich diskutiert wurden. In München befüllen wir Badewannen mit kaltem Wasser und Eis und lagern Augustiner-Bierflaschen für Parties darin. Vielleicht gab es auch echte Bierflaschen in Badewannen in Berlin und ich war nur auf den falschen Parties, ich bin mir sicher, in Berlin gibt es alles. Ich fand es nur nicht.

Aber ich fand mich, letztendlich. Und die Erkenntnis, dass dort, wo du lebst, nicht großartig in den Ohren anderer klingen muss.

7 Comments

  • *thea
    25. Juni 2015 at 10:42

    ein schöner text – klingt sehr ehrlich und reflektiert. das mit den vorurteilen zu münchen ist mir auch schon nur als gast auf einer berliner hochzeit so passiert. soll doch jeder leben wo er mag – ich mag berlin und wohne aber trotzdem lieber hier.

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    • fadenvogel
      25. Juni 2015 at 11:28

      Danke. Ich habe mal in deine Blog gelesen, dass du Dialekt sprichst. Ich nicht. Ich kann aber, wenn ich will. Man hat mich also nicht gleich erkannt. Da war dann die Überraschung meistens noch größer…im Nachhinein könnte Identitätsflimmern ja Spaß machen. Jetzt würde es mir Spaß machen. Früher war das anders.

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      • *thea
        25. Juni 2015 at 14:32

        Das lustige ist, dass ich ja gar nicht Münchnerisch sondern fränkisch spreche – aber die Vorurteile eigentlich nur gegen München gingen nachdem ich gesagt hatte, wo ich wohne.

        Ich glaube, wenn man vor hat, ernsthaft an einem neuen Ort zu leben, spielt man nicht so mit Identität weil man sie ja für sich dort finden will bzw. gefunden uind angenommen werden möchte, als der Mensch, der man ist/sein will. Wenn man wo im Urlaub ist oder sich für eine begrenzte Zeit aufhält, kann man sowas eher als Spiel sehen..

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  • Roxy | early birdy
    25. Juni 2015 at 20:05

    Mir ist auch schon öfter aufgefallen: Man sagt, dass man in München lebt und bekommt so einen mitleidigen Blick zugeworfen. So als ob das Gegenüber jetzt erwartet, dass man sagt „ja, ist voll kacke da!“
    Ist es aber halt einfach nicht. Räumt mal mit euren Vorurteilen auf, Leute! München ist mehr als Oktoberfest und Zahnarztsöhnen mit BMW…
    Würdest du in Erwägung ziehen nochmal in Berlin zu leben, oder ist das jetzt für dich gute Zeit abgehakt und gut is?

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    • fadenvogel
      25. Juni 2015 at 20:30

      Mein Leben hat sich so verändert seit der Zeit. Ich habe mir darüber noch nicht wirklich Gedanken gemacht. Pffff……Nein, so wie es jetzt ist, würde ich nicht mehr in eine Stadt ziehen. Vielleicht in 20 Jahren…da dann aber eher an die Seeeeeeee….mit Nordwind.

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  • […] in Notizheftchen. Ich öffne meinen großen Karton, in dem ich alle diese Sachen aufbewahre, um nach Erinnerungen aus Berlin zu forschen. Dabei fällt mir ein Tagebuch in die Hände. Es ist von 1998. Damals war ich 17 Jahre […]

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  • […] lebe schon lange in dieser Wohnung, ich erwähnte es bereits. Aber unsere Tage hier sind gezählt. 6 Wochen noch und […]

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