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Kindheit mit der Pandemie

Meine whatsapp-Gruppe schweigen. Ab und zu erhalte ich eine Nachricht von einem Fussballtrainer oder einer anderen Freizeit-Gruppe meiner Kinder. Dass wir noch warten müssen. Dass es nicht klar ist, wann es weitergeht mit der Gruppe. Nur die Musikschule fiedelt wieder. Im Einzelunterricht mit Desinfektionsstation und Mundschutzmaske. Ach ja, und die erste Klasse. Die Schulen sind für drei Unterrichtsstunden offen und die Kinder erhalten Basisunterricht in Hygienelehre, Mathe und Deutsch. 

Meine Kinder nehmen ihr neues Leben mit einer absurden Gelassenheit an. Es ist jetzt eben so, wie es ist. Pausen in der Klasse statt im Schulhof. Keiner hat einen Banknachbarn. Meine Freundin seufzt am Telefon. Ihr Kind ist am durchdrehen, weil er immer alleine ist. Er hat keinen Bock mehr, daheim irgendwelche Aufgabenblätter auszufüllen. Er verweigert sich. Am Telefon spreche ich mit einer Arbeitskollegin. Ihr Kind kommt dieses Jahr in die Schule und ich merke, dass mir das wirklich leid tut. Der Schulanfang mit Abstandsregeln und Mundschutz, keine Feier, keine Horde von Kindern, die die Neuen begrüßen. Ich bin froh, dass wir kein Jahr mit großen Einschnitten haben. Gut, der Kleinste sollte im September in den Kindergarten, aber das passiert oder passiert anders – Schulanfang, Schulende, Kindergartenabschied – ja, dass sind die größeren Ereignisse. 

Wir bemerken, dass die größeren Kinder sich mit Freundschaften schwertun. Gerade in eine neue Klasse gekommen und jetzt keine Pausenhofprügelei. Dieses Jahr wird es wohl keine große Geburtstagsfeier geben. 

Meine Freundin sagt, ich hätte es leichter mit Zwilligen. Die wären wenigstens nicht alleine in dieser Zeit. Würden ihre Freunde nicht so arg vermissen. 

Das stimmt. Es gibt nämlich fast keine, weil sie langsamer sind mit Freundschaften. Sie würden auch den Pausenhof brauchen.  So stelle ich mir das zumindest vor. Weil das meine Kindheitserinnerung ist.

Aber die Schablone passt nicht mehr. Ich muss einsehen, dass meine Vorstellungen von Kindheit irgendwo in der Vergangenheit liegt. Das war schon immer das Problem von Eltern. Dass sie denken, dass sie irgendwas von Pausenhöfen noch wissen. Jetzt sehe ich vor allem die Dinge, die fehlen. 

Es war schon immer eine Abwägung, wie viele Aktionen und Gruppen und Beschäftigungen wir mit den Kindern machen. Zwischen „Immer auf Achse“ und “ lass uns mal zu Hause spielen“ – das sind Wellen. Kommt eben auch darauf an, wie viel Zeit und Kraft ich als Mutter aufbringe. In den letzten Jahren habe ich das sehr zurück gedreht. Sollen sie doch im Garten spielen – wir haben wenigstens einen. Aber wir wohnen sehr einsam. Es gibt keine Nachbarskinder. Es gibt nur Straßen, Berge und Wald. Ich fand das gut. Diese planlose Entschleunigung. Jetzt schweigen meine whatsapp-Gruppen und ich habe das Gefühl, alles richtig und gleichzeitig alles falsch gemacht zu haben.

Das jüngste Kind läuft den Zwillingen hinterher. Er ist hin und her gerissen zwischen Windeln, Babysein, Schnuller und Töpfchen, Klo, Ich bin groß. 

Ich fühle mich wie in der Zeit zurückgeschleudert. In einen anderen Abschnitt von Gebraucht-werden. Das stimmt irgendwie nicht. Ich bin mehr gebunden. Alles ist enger – wie mit Babys. Süß, aber eng. Es gab früher mehr Abschiede. 

Dieses Kind ist kein Baby mehr und braucht auch nicht den ganzen Tag mit mir abhängen. Es sollte zu Morgenkeisen und Bastelwastel gehen. Meine Großen sollten anfangen, zu Kinderfreizeiten zu fahren. 

Dieses Haus sollte leerer sein, als es ist. 

Die Wahrheit ist, dass sich keiner gewünscht hat, in einer Pandemie zu leben. Keiner will das. Niemand weiß, wann es endet. Und wie. Vielleicht sehen wir keine vollen Krankenhäuser mehr, vielleicht steht uns das noch bevor.  Noch nie war mir bewusst, wie wenig wir wissen. Vom richtigem Leben, von der guten Kindheit, vom Streben und Schaffen. Vom Glück. Und was für eine Übung, dass Nicht-Wissen auszuhalten.  

Die Zukunft war schon immer ungewiss. 

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