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Das Oktoberfest als Anwohner – das Dirndl-Grauen zieht auf

Das Oktoberfest zieht vor meiner Tür auf. Es sind mit einem Mal mehr Menschen auf der Strasse, die Touristen sind schon da und warten und shoppen. Mit mehr Menschen sind es auch mehr Autos. Sie verstopfen bereits jetzt die Strassen um unsere Wohnung.

Ich bin mitten drin in dieser Stadt und das Oktoberfest ist eine Zeit, die mir mehr auf die Nerven geht als alles andere.

Warum? Ist doch nett, die ganze Welt zum Saufen in Minirockdirndl und Plastiklederhosen vor der Tür zu haben.

Was ist noch anders?

Mit den öffentlichen Verkehrsmittel kommen jeden Tag die meisten Menschen an der Theresienwiese an. Es gibt eine U-Bahn-Linie, die die Innenstadt mit der Theresienwiese und allen anderen dahinter liegenden Stationen verbindet. Mit Kinderwagen muss man sich echt überlegen, wo man hinmuss. Letztes Jahr habe ich einen Arzttermin abgesagt, weil es wirklich nicht ging. Die U-Bahn ist brechend voll, je später der Abend, desto betrunkener die U-Bahn-Gäste. Es wird gerne die U-Bahn zum Schaukeln gebracht. Toll also mit Kindern. Wirkt überhaupt nicht bedrohlich.

Die andere Möglichkeit ist mit der S-Bahn, auch nicht anders. Ansonsten gibt es eine kleine unschuldige Trambahnlinie zur Stadt. Ich komme mit Kinderwagen schon zu normalen Zeiten nicht wirklich in die Tram rein. In der Wies´n-Zeit werden wir also zu Einsiedlern. Die Benutzung der öffentlichen Linien ist nicht mehr so ohne weiteres möglich.

Meine Supermärkte im Viertel in der U-Bahn-Schneise zum Oktoberfest stellen für die Zeit eine Security ein. Ein Wachmann oder zwei stehen in schwarz gekleidet vor dem Eingang und gucken alle grimmig an. Kleine Wasserplastikflaschen sind eh immer ausverkauft, die Schlange zur Kasse wird länger.

Jeder nimmt auch immer noch einen Kaffee mit, beim San Francisco Coffee Company (ein toller Ort für Kinder) ist in dieser Zeit nichts mehr wie zuvor.

Unser Auto werden wir bald mehr in das Viertel rein stellen müssen, betrunkene junge Männer laufen gerne in de Nacht über die Autos drüber. Ein Spaß, den man aus Filmen kennt. Da sieht das auch immer cool aus.Teilweise werden die Strassen gesperrt, bringt man sein Auto nicht klug unter, kann es sein, dass es in der Sperrung stehen bleiben muss.

Wenn die Wies´n anfängt, riecht man immer ein Hühnchen-Zuckerwatten-Gemisch bei uns am Fenster. Das Lüften wird also zum pappsüßem Kunstgemisch. Dazu kommt immer das Gewirr aus Stimmen und Liedtexten. Vor allem „Hey, heyyy Baby, uhhh, ahn I wanna knowowow …“ kann man wie eine Stimmensuppe bis zu uns hören.

Das Oktoberfest ist eine Herausforderung, alle Hemmungen fallen. Wir müssen immer penibel darauf achten, dass das Tor zu unserem Hinterhof geschlossen ist, denn sonst pissen,kacken und kotzen die zivilisiertesten Menschen in unseren Vorgarten.

Einmal bin ich kreischend zum Tor gestürmt, als sich ein junger Mann verdächtig gegen das Tor gelehnt hat. Ich dachte, er kotzt gleich. Ein Mädchen stand neben ihm und redete auf ihn ein. Ich dachte, wenn der kleine Pisser da hin kotzt, dann komme ich mit dem Kinderwagen nicht mehr raus ohne a) alles vorher aufzuputzen oder b) direkt durch seine Kotze zu fahren. Ich kreische also aggressiv los und hoffe, den Typen zu vertreiben. Da winkt das Mädchen ab und sagt, dass sie bloß „reden“ würden. Ach so, eine Wies´n-Trennung, alles klar, Erleichterung, dann bitte einmal weiter gehen.

Ich verstehe, dass die Leute Spaß haben wollen. Die meisten fahren aber hin, haben Spaß und fahren dann wieder nach Hause. Ich muss immer im Spaß bleiben und hüpfe elegant über die Kotzflecken auf der Strasse, um zur Arbeit zu kommen.

Wir fliehen aber wie viele Anwohner in der Zeit. Ab und weg. Manche finden es total cool, wenn sie hören, wo wir wohnen. Jeden Tag Wies´n und dann zu Fuß nach Hause laufen, genial. Ja, sage ich dann immer, total toll. Ich freue mich riesig drauf.

6 Comments

  • Larissa//No Robots Magazine
    19. September 2014 at 08:48

    Eigentlich bin ich ja total traurig, dass ich nicht mehr da wohne, wo du wohnst. Aber für die nächsten zwei Wochen bin ich froh (obwohl wir auch zu den Anwohnern gehörten, die geflohen sind). Aber ich wohnte ja noch zwei Querstraßen weiter, da hat man’s nicht ganz so arg mitbekommen. Ein Mal bin ich während der Wies’n abends so gegen elf von einer Geschäftsreise zurückgekommen und hätte fast mit meinem Koffer um micht schlagen müssen, um aus der S-Bahn zu kommen. Oder wenn man morgens joggen geht und einem schon die ganzen Sauf-Touristen entgegenkommen. Und ich finde es auch nicht schön, wenn mir (fast) alle Frauen ihre halbentblößten Brüste entgegenstrecken. Sehr bizarr ist es auch immer, am Wochenende durch den (von uns eigentlich sehr geliebten) Bavaria-Park zu laufen. Was man da alles sieht! Und wenn man nach der Arbeit nach Hause will und denkt: „Ist ja schön und gut, dass ihr jetzt auf euer ach-so-tolles Sauf-Festival wollt … ABER ICH WOHNE HIER!!“
    Ein Gutes hatte es allerdings: Wenn ich mit dem Büro auf Wies’n-Besuch war und keine Lust mehr hatte, war ich in fünf Minuten zu Hause. Das klappt dieses Jahr nicht mehr. 😉

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    • fadenvogel
      19. September 2014 at 12:18

      Ich denke, jedes Unternehmen dieser Stadt geht mindestens einmal ganz offiziell zur Wies´n. Wir auch. Da ist es natürlich sehr praktisch, wenn ich dieses eine Mal nicht mit der U-Bahn fahren muss. ich sollte mich eh im positiven Denken über die Wies´n üben. Ich laufe jetzt schon wie ein kleiner Terrier rum. Vielleicht nehme ich unseren Bollerwagen, ziehe meinen Zwillingen Lederhosen an, mach mir ein Schild mit 10 € pro Photo und verdiene einfach auch bisschen mit. Man muss die positiven Seiten sehen. man muss einfach die positiven Seiten sehen….

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  • *thea
    19. September 2014 at 09:41

    ich glaube direkt als anwohner, so wie du es schilderst ist es wirklich anstrengend. ich wohne ein viertel weiter und freu mich unglaublich auf die wiesn-zeit. ich finde die luft in der stadt flirrt schon jetzt vor vorfreude und die stadt wird stündlich internationaler. wenn morgens in der u bahn alle schon in tracht (die ja wenn man es richtig macht, eher festlich wirkt) zur arbeit fahren und im büro alle um vier rüber zur wiesn schlendern….aber wie gesagt es gibt auch eine dunkle seite der wiesn, und abgründe tun sich auf. viel spaß bei der flucht in den urlaub, wenn ich das richtig verstanden habe 😉 lg*thea

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    • fadenvogel
      19. September 2014 at 12:20

      Ja, ich glaube, dass mir das auch gefällt. Tief hinten in meinem Gedächtnis habe ich diese Seiten der Wies´n schon auch mal gesehen. Aber „hey…hey Baby uhhh ahhhh I wannna knowowow…“ nüchtern und als Hintergrundmusik für den Alltag kann auch eine Foltermethode sein.

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  • Wolfi
    19. September 2014 at 16:11

    Hier findet man schöne Bilder welche Deinen Text wunderbar illustrieren, ich bin schon sehr gespannt auf die Ausgabe 2014 😉

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