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*Leonhardi war* – ein Bericht aus Bad Tölz

Leonhardi Bad TölzWer in Tölz wohnt, kommt an Leonhardi nicht vorbei. Schon zum Anfang des Kindergartenjahres wurde ich darauf hingewiesen, dass am 6.November, also zu Leonhardi, die Einrichtung geschlossen sei. Beim Kaffeetrinken mit den anderen Kindergartenmüttern wurde es dann sehr deutlich: Auf Leonhard wird hier regelrecht hingefiebert. Was noch alles zu diesem Tag fertig sein muss…Die Geschäfte haben zu, die Hauptstraße ist gesperrt, der Janker für den Neffen muss fertig gestrickt werden. (An dieser Stelle ein Teaser: auch ich habe noch zu Leonhardi etwas fertig gemacht, was hier bald vorgestellt wird. Und JA, es hat etwas mit Tracht zu tun)

Gut, ich bin auch hier mittendrin aufgewachsen, ich kenne Leonhardi. Das hat mich also nicht so kalt erwischt, aber bis letzten Freitag war es der Tag, an dem wir immer nicht von der Stadt aufs Land fuhren, weil eben 25.000 andere es tun…

Also, Leonhardi war.

Leonhardi Bad Tölz 2015

Eine Leonhardifahrt ist eine Prozession zu Pferde. Sie gibt es an vielen Orten in Bayern. Dem Schutzpatron der landwirtschaftlichen Viecher – irgendwie vor allem des Nutztieres Pferd – wird eine Fahrt abgehalten und am Ende werden die Pferde geweiht.

Wir standen am Anfang der Prozession. Auf alten Fuhrwerken, geschmückten Festwägen, sitzen Frauen in bayerischer Tracht. Jungfrauen (ob das noch alles Jungfrauen im wörtlichen Sinne sind….) und verheiratete Frauen erkennt man am G´wand. Männer gibt es auch – als Schützenvereine oder Blasmusikkapellen. Die Wägen sind eng und bemalt. Da es eine Prozession ist, wird gebetet. Männer reiten auch, aber zwischendrin erkenne ich auch ein junges Mädchen in Männerkleidung auf einem der riesigen Tiere. Da muss ich lächeln. Im Nachhinein war dies aber wohl eine optische Täuschung. Viele haben gemeint, ein (verbotenerweise) Mädchen zu Pferd gesichtet zu haben, aber dies war wohl doch ein Junge. Also kein rebellischer Akt.

Bad Tölz Leonhardi

Es lohnt sich tatsächlich, die Tiere sind prächtig. Auch die Trachten können sich sehen lassen – unabhängig davon, ob man das jetzt im Generellen schön findet oder nicht. Es hat nämlich nichts mit Mode zu tun, nichts mit Dirndl-Wiens-schick, sondern es sind halt Elemente aus vergangenen Tagen aufgenommen worden und -ohne es wirklich zu wissen – halte ich es für authentisch. Wie viel hier für sich, für Touristen, für eine gefühlte Tradition oder für *war halt schon immer so* gemacht wird – ich denke, es ist eine Mischung aus allem. Dabei höre ich schon an einigen Ecken, dass man die Massen Besucher bedauert. Gefährliche Situationen entstehen. Unbedarfte gehen nahe an den Kaltblütern vorbei und es passieren Unfälle. Auch bei uns kommt ein Reiter gefährlich nahe und wir ziehen die Kinder zurück. Es sind Tiere. Fluchttiere. Die können auch mal durchgehen. Es wird herumgeraunt, dass morgens eines erschossen werden musste. Ein Wagen ging auf der Herfahrt durch und das Tier verletzte sich schwer. Ein Fuhrmann liegt im Krankenhaus. Das ist alles kein Glitzer-Glitzer-spaß, das kann auch sehr schnell sehr ernst werden. Hunde sind verboten als Zaungäste. Dass sich nicht alle dran halten, verantwortungslos.

Leonhardi Bad Tölz 4

Danach gibt es für mich einen Bruch. Wir haben die Kinder zu Oma und Opa gebracht und sind erst gegen Spätnachmittags in die Marktstraße zurück. Trauben von Menschen stehen vor den Wirtshäusern. Menschen begegnen sich, begrüßen sich – und sind unendlich betrunken. Die Mädchen in den altbayerischen Trachten laufen eingehakt in Zweierreihen die Marktstraße entlang. Die Letzte trägt die Flasche Schnaps. Sie johlen und machen Selfies. Wir holen uns auch was zu trinken und beobachten die Szenerien aus Trachten und Touristen. Da man wohl das Ganze mit Schnaps begonnen hat, ist es auch vor Einbruch der Dämmerung für manchen schon sichtlich vorbei. Das ist auch irgendwie das Lustige an Bayern, beten und saufen geht ganz einfach zusammen – wird meistens nur durch die 12-Uhr-Glocken getrennt. Wer vor dem Gottesdienst zwitschert und nicht betet, bekommt mächtig Ärger. Wer danach immer noch nüchtern ist, kommt wohl aus Preußen oder ist schwanger.

Leonahrdi Bad Tölz Nacht

Nächstes Jahr werden wir uns wohl das ganze Spektakel ansehen, mit dem Zug bis zur Kirche. Ob mit Schnaps oder ohne – kommt wohl auf die Kinder an, aber für johlend durch die Markstraße zu rennen und mich gestützt nach Hause schleifen zu lassen – da fühl ich mich zu alt. Aber ich sollte hier nicht so viel tönen – wenn es nächstes Jahr keinen Bericht zu Leonhardi gibt, gab es wohl Schnaps für mich. Trotz meines sehr wohl gepflegten Protestantismus.

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