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Für Lukas

In letzter Zeit muss ich immer wieder an mein erstes Kind denken. Jenes, dass nicht geboren wurde. Jenes, dass ich nie erwähne. Vielleicht streift hier eine Frau vorbei, deren Kinder auch nicht alle geboren wurden. Vielleicht ist es eine Geschichte über uns alle.

Kinder, die die ersten drei Monate einer Schwangerschaft nicht überleben, werden meistens weggepackt. So, als ob es sie nicht wirklich geben würde oder auch nie gegeben hätte. In dieser Zeit darf noch abgetrieben werden. In dieser Zeit erzählt man auch niemanden, dass man schwanger sei. Gehört sich nicht. Ist ja noch nicht *richtig* da. Man ist ja auch noch nicht *richtig* schwanger.

Von meiner ersten Schwangerschaft habe ich wie im Traum erfahren. Ich lag in der Badewanne und schickte meinen Freund jetzt doch noch mal zur Apotheke um die Ecke. Wir kamen grad von einer Beerdigung und sinnierten über das Leben. Da ich mich nicht erinnern konnte, wann ich jetzt eigentlich meine Tage das letzte Mal hatte, wollten wir jetzt doch noch mal einen Schwangerschaftstest machen. Wir lachten. Wir glaubten nicht im Traum daran, dass es ein Baby geben könnte. Im Urlaub am Strand hatte ich Bauchschmerzen und wir hatten Angst, dass ich irgendwo in Nordafrika in ein Krankenhaus musste wegen Blinddarm. Wir kamen zurück und gingen auf jene Beerdigung. Ziemlich naiv alles. Am Ende war ich nur schwanger.

Das ist das Schöne an so einem Blog. Da kann man diese Dinge, die nie in ein Gespräch passen, aufschreiben und sie so irgendwie erzählend machen.

Wir waren so glücklich. Nicht, dass wir uns unbedingt ein Baby gewünscht hätten, aber wir wussten sofort, dass wir jetzt glücklich sind. Wir erzählten es. Manche winkten sofort ab und sagten, wir sollten jetzt erst mal abwarten. Da fließt schließlich noch viel Wasser die Isar herunter. da wurde ich böse. Wieso sollte man die Klappe halten, wenn einem ein Märchen passiert?

Mein Freund kaufte mir ein Kleid auf einem Markt. Wir guckten zusammen in den Spiegel und prüften, ob ich damit auch noch mit Bauch herumrennen konnte. Wir lächelten und konnten es nicht fassen. Ich bin schwanger, sagte ich der Verkäuferin. Ich musste es ganz oft sagen. Ich glaubte es nämlich gar nicht. Wir waren Mitte 20, wir waren frisch verliebt. Jenes Kleid habe ich heute noch.

Kurze Zeit später – es war fast Weihnachten – sagte mir mein Frauenarzt, dass er das Herz nicht mehr schlagen sehen würde. Es tue ihm leid. Ich soll mir draußen einen Termin geben lassen. Für eine Ausschabung.

Ich stand in einer vollen Praxis, mit meinem neuen Kleid und hielt mich am Riemen. Ich machte alles – einen Termin, ein Lächeln, ein Kopfnicken. Als ich draußen war, bin ich zusammengebrochen. So viel geweint hatte ich selten.

Die Wochen danach war ich wie ein Gespenst. Kinder, die nicht geboren werden, haben schließlich einen guten Grund dafür. Man darf jetzt da nicht so ein Tamtam machen. Das gehört zum Leben. Und so schlimm sei es ja auch nicht. Waren ja nur 12 oder 13 Wochen. Da passiert so was. War ja noch kein richtiges Kind.

Für mich war es ein richtiges Kind. ich habe ihn Lukas genannt und ihm eine Kerze auf das Fensterbrett gestellt. Damit er nach Hause findet. Die Kerze hat mein Freund besorgt. Manche Leute sagen, wir haben ziemlich schnell geheiratet damals. Nur zwei Jahre nach dem ersten Kuss. Aber der Typ hat Lukas eine Kerze gekauft. Natürlich heirate ich den. Was für eine Frage.

Meine Trauer wurde nicht besser. Ich wurde auch nicht mehr schwanger. Irgendwann bin ich in eine Kirche gegangen. Dort habe ich eine Frau getroffen. In unserer Kirche damals wurde manchmal nach dem Gottesdienst noch Kaffee ausgeschenkt. Die Frau war krank, hatte ein lahmes Bein, roch streng und war auch sonst einsam und ein bisschen verrückt. Sie hieß Verena. Verena fragte mich, wie es mir denn ginge. Ich stand abseits und wollte eigentlich schon gehen. Ich bin sofort in Tränen ausgebrochen. Sie hatte sich die ganze Geschichte mit Lukas angehört und beim Erzählen fiel mir auch auf, warum ich so in dieser Situation feststeckte. Weil es diese Kinder gar nicht gab – so im gesellschaftlichen Kontext. Als Frau hatte man dies so hinzunehmen. Diese Föten, keine Kinder. Abtreibungsmaterial. Noch nicht *richtig*. Sie hat eigentlich gar nicht viel gesagt. Sie war nur entsetzt, dass ich annehme, dass es kein richtiges Kind gewesen wäre. Natürlich, sagte sie. Natürlich hatte er eine SeeleUnd es hatte auch ein Leben. Und in diesem Leben war es nie alleine. Du warst immer bei ihm. Kinder, die so früh sterben, die sind unschuldig. Die kommen sofort zu Gott. Sie fliegen zu ihm. Ich stand da und es wurde ganz warm. Wirklich. Ich hatte eine so schöne Vorstellung von meinem Kind. Es war wie ein Traum. Ich ging aus dieser Kirche und war ganz leicht. Ich hüpfte fast nach Hause. Meine Trauer war bei Verena geblieben.

Ich bin für *mein Bauch gehört mir*. ich bin für Selbstbestimmung und Feminismus. Wenn so eine Nonne einer vergewaltigten Frau ins Gewissen quatscht, dann rege ich mich auch auf. Sollen die doch mit ihrem patriarchalen Gotteszeugs von mir fern bleiben.

Aber ich kann nicht leugnen, dass ich einst einen Ort brauchte, der ein Fötus von 12 Wochen für einen Menschen hielt, denn für mich war er das. Ich brauchte einen Glauben und ich brauchte ein Bild, dass nur aus Wärme und Gold gemacht wurde. Ich brauchte einen anderen Menschen, einen fremden Menschen, der dem Zellhaufen im Biomüll einer Abtreibungsklinik eine Seele zusprach. Denn sonst wäre ich in meiner Trauer wahnsinnig geworden. So machte es wieder Sinn. Es gab einen anderen Menschen in meinem Leben. Er ist gestorben ohne geboren zu werden. Ich habe geweint. Jetzt höre ich auf zu weinen und denke ab und zu voller Liebe an ihn. Wenn mich jetzt jemand fragt, wie viele Kinder ich habe, so sage ich immer zwei und flüstere in Gedanken: drei.

 

Foto: pixabay

 

 

6 Comments

  • uli
    28. September 2016 at 19:46

    Ich hab lange gehadert, ob ich diesen Beitrag lesen soll. Natürlich hab ich es getan, sitze auf der Couch und heule.
    Glücklicherweise hab ich sowas nicht mitmachen müssen, aber ab dem ersten Ultraschall waren diese Mungobohnen meine Kinder.
    Glg

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  • Hana Mond
    28. September 2016 at 20:04

    Ich finde es traurig, dass in unserer Gesellschaft kaum über das Thema Fehl- und Totgeburten geredet wird. Weil ich mir dann immer vorstelle, wie Freunde oder auch nur Bekannte über den jeweils anderen denken „Die/der möchte das wohl nicht hören“, obwohl dem/der anderen vielleicht genau dasselbe passiert ist und es beiden gut tun würde, sich austauschen zu können und nicht allein zu fühlen …
    Daher: Danke für den Beitrag. Ruhe in Frieden, Lukas.

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  • *thea
    28. September 2016 at 21:46

    Meine Mutter hatte einen Abgang bevor sie mit mir schwanger war – ich denke manchmal daran, wie es wohl gewesen wäre, wenn nicht ich die Älteste gewesen wäre sondern einen 5 Jahre älteren Bruder oder Schwester gehabt hätte. Das hast sehr schön formuliert – und ich glaube auch, dass hier ein guter Ort ist für diese Worte. Liebe Grüße *thea

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  • Christina
    29. September 2016 at 02:52

    Naja, derlei Dinge passieren. Die Bekannten hatten wohl recht mit ihrem „es geht noch viel Wasser die Isar runter“; was daraus wird, kann man bei so einem Zellklumpen ja nie sagen naja mittlerweile weiß man ja, dass er höchstwahrscheinlich sammelkremiert und verbuddelt wurde.

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    • uli
      29. September 2016 at 19:21

      Empathie ist nicht so deines, stimmt´s?

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  • Larissa//No Robots Magazine
    29. September 2016 at 10:14

    Im Oktober 2014 waren wir im Urlaub auf Kreta. Ich musste extrem oft pinkeln und meinte zu meinem Mann, dass ich mir wohl die Blase erkältet hätte. Zurück zu Hause musste ich gleich auf eine Beerdigung, direkt danach machte ich einen Schwangerschaftstest. Positiv. Da war es auch schon keine Überraschung mehr.
    Als ich ein paar Wochen später die Bestätigung vom Arzt hatte, sagte ich zum Abschied zur Sprechstundenhilfe, dass sie mich jetzt wohl öfter sehen wird. Ihre Antwort: „Ach, da kann noch so viel passieren!“ Das fand ich sehr unpassend und verletzend. Zum Glück ist nichts passiert, aber ich kenne wirklich sehr viele Frauen, die eine Fehlgeburt hatten. Gut, dass mittlerweile mehr darüber gesprochen wird.
    Ich habe sehr lange gebraucht, um richtig zu verstehen, dass ich Mutter werde – bis lange nach der Geburt. Aber mein Kind war es trotzdem ab der ersten Sekunde. Die Leute vergessen gerne, dass ein Kind ziemlich schnell kein „Zellhaufen“ mehr ist, sondern schon nach wenigen Tagen ein schlagendes Herz hat, bald einen recht menschlichen Körper, mit dem es sich bewegen kann. Zu entscheiden, wann ein Mensch ein Mensch ist, finde ich sehr relativ. Ich möchte das nicht bewerten und ich finde auch, dass es viele Situationen gibt, in der man nicht einfach von einer Mutter verlangen kann, ein Kind auszutragen – dennoch finde ich, dass ein Mensch von der ersten Sekunden an schützenswert ist. Ich stehe der „Mein Bauch gehört mir“-Haltung auch eher kritisch gegenüber. Sie wird ja auch gerne mal als Ausrede genommen, um in der Schwangerschaft nicht verzichten zu müssen. Einen Tag vor der Geburt kann die Mutter sich noch die Birne wegsaufen, weil es ja um ihren Körper geht – und wenn das Kind dann einen Tag später da ist, dann wäre es plötzlich Misshandlung, wenn man ihm Alkohol gäbe. Das macht für mich keinen Sinn.

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