Heute Abend – ganz still und leise – wird Tori Amos in München auftreten. Im Gasteig – eher ein unsexy Ort für Konzerte. Was ist mit der Muffathalle? Feierwerk? Oder war ich zu lange on, um nicht mehr zu wissen, was man off so macht. Oder wo man so hingeht.
Gerade habe ich vom Apfelgott das neue Album geklicktkauft und es läuft während ich hier schreibe. Eigentlich wollte ich nicht vorher reinhören, sondern mich heute Abend ganz drauf einlassen. Jetzt bin ich aber froh. Es passt.
Für mich schließt sich heute Abend ein alter Kreis, denn ich erinnere mich an Tori Amos vor allem zwischen 1997 und 2001. „From the Choirgirl Hotel“ ist und bleibt eine Legende. Ich erinnere mich an Sommerabende, an Kaffee und Zigaretten, an das Backstage vor dem alten Backstage vor dem neuem Backstage. Und an die erste Liebe zu einem Jungen in meiner Klasse. Ich erinnere mich an eine WG in Giesing, an die ersten Studiumswochen und an ein großes Unglück, das mich echt lange verfolgt hat und das mich bis heute prägt, aber nicht so, dass man es sieht. Eher wie das 19. Jahrhundert, dass unsere Gesellschaft bis heute beeinflusst mit Beamtenfleiß, Bürgerstolz und Krankenkassen und man es trotzdem nicht auf den ersten Blick bemerkt, dass das 19. Jahrhundert immer noch da ist. Mein 19. Jahrhundert ist auch noch da, aber es tut nicht mehr weh. Es ist das, was es zu sein hat: eine Vergangenheit.
Meine Schulliebe und ich sind seit langer Zeit nicht mehr zusammen und ich konnte nicht zu dem Konzert im November 2001 im Circus Krone gehen. Meine Freundinnen damals fanden, dass ich mich jetzt erst mal um mich kümmern sollte. Sie fanden, dass ich auch aus Respekt vor dem Aus meiner Beziehung nicht zu Tori Amos gehen sollte, da ich ja wüßte, dass er dort sein würde. Ich habe noch ein deutliches Gefühl von damals, wie wenn man plötzlich die U-Bahn-Karte einer fremden Stadt zwischen den Seiten eines alten Buches findet und sich erinnert, dass man diesen Fahrschein mal als Lesezeichen verwendet hatte. So erinnere ich mich an Tori Amos von damals und das Gefühl an dem Tag in 2001, als mir mitten auf der Straße klar wurde, dass ich ihn zufällig treffen könnte auf dem Konzert und das es dann vielleicht doch einen weiteren Weg gäbe, obwohl ich mich getrennt habe und nicht er. Aber irgendwie hatte ich die Phantasie, dass vielleicht plötzlich und aus heiterem Himmel alles wieder watteweich und sommerleicht wäre.
Ich bin nicht zu dem Konzert gegangen und ich habe ihn nicht mehr zufällig getroffen. Er ist in der Vergangenheit zurückgeblieben. Tori sing gerade über ihr weißes Telefon zu Gott und frägt: „Do we all have to get older? We do. Better older than dead.“ Heute Abend habe ich keinen Grund, das Konzert zu verpassen. Keine Freundinnen reden mir mehr rein, keine Beziehung ist zu Ende, keine Toten weit und breit. Ich bin frei. Letztendlich müssen wir alle unsere Jugend überleben und die Stürme währenddessen. Ich kann nicht klagen. Ich werde mich heute auf dem Konzert mit jemand anderem treffen. Auf diesen Jemand freue ich mich von ganzem Herzen. Tori Amos wird heute Abend zu einer anderen Geschichte und das verpasste Konzert von 2001 wie der Torf und Lehm darunter. Vielleicht treffe ich auch noch Leute aus meinem Leben zufällig und wir lachen und zwinkern uns zu. Es wird schön und warm.
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Erzähl mir von…deinem ersten Job | Fadenvogel
6. November 2016 at 09:01[…] zwei Monaten Pause gemacht und danach aufgehört. Irgendwann bin ich mal mit einer Freundin zu Tori Amos gegangen. Da waren wir im Gasteig und ich fragte das Mädchen in der Uniform, ob es immer noch die […]