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waiting for silence: facebook

Auf Facebook habe ich 163 Freunde. Laut einer Studie liege ich damit mit meinem Alter unter dem Durchschnitt. Der allgemeine Durchschnitt ist 342, bei 5000 hört Facebook auf. Es kann nie einen 5001 Freund geben.

Ich bin bei 163. Darunter sind Menschen, die ich das letzte Mal auf der Abiturfeier gesehen habe. Keine Freunde also, sondern ein Stück zurückgelassene Identität. Vielleicht habe ich auch mit manchen von ihnen nie wirklich gesprochen.

Ich bin in verschiedenen Gruppen: in einer Gruppe ist die Abiturklasse und die Jahrgänge der Schule, die anderen Gruppen sind lokale Tipps, ein Flohmarkt müsste auch darunter sein. Ich habe verschiedene Seiten geLIKEt: Autorinnen, eine Heimwerkerseite aus Australien, die ziemlich coole Fotos hochlädt, Nähcafes, Nähzeitschriften, ein amerikanischer Doku-Serienstar, Nonsens-Humor-Sprüche-Seiten, lokale Geschäfte, Seiten von Freunden. Ich bekomme an meine Pinnwand Nachrichten von meinen 163 Freunden oder von der Öffentlichkeit, die ich mir mit meiner LIKE-Auswahl geschaffen habe.

Meine eigene kleine Welt also.

Das erste Problem habe ich nun, da meine Facebook-Seite mit einer email-Adresse verbunden ist, die ich gerne ersetzen würde. Das ist gar nicht so einfach. Die Email ist unsere neue Nabelschnur: einmal geprägt, ist eine neue Verknüpfung gar nicht so einfach. Ich habe meine Email-Adressen noch aus einer Zeit, da hatte nicht jeder eine Email-Adresse und in Vorlesungen wurde noch auf Collage-Blöcken mitgeschrieben und nicht digital. Laptops war was für BWL-Angeber.

Ich versuche es bei facebook immer wieder mit dem ersetzen und bin genervt. Ich werde komplett auf eine neue Identität umziehen. Jetzt kommt mir gerade im Bezug auf den Minimalismus die Idee, Facebook für mindestens 30 Tage aufzugeben. Ich löse alle Verbindungen meines Accounts auf, lösche alle Informationen heraus und schließe ihn. Mit einer neuen Email-Adresse melde ich mich ganz neu an…und sehe, wie viele Freunde ich nach diesem Experiment noch habe. Zwischen diesen beiden Aktionen liegen mindestens 30 Tage. Vielleicht ist es ein Abschied für immer?

Ich stelle es mir schweigsam vor. Manche Geschichten werden nur auf Facebook erzählt. Manche Bilder nur dort gezeigt. Mit manchen Menschen werde ich gar keinen Kontakt mehr haben. Nicht mal den passiven. Wird das schwierig?

Ich bin jeden Tag auf Facebook. Es sind immer dieselben, die ich dort treffe. Facebook ist für mich wie der Dorfbäcker: alle hassen ihn und finden, dass die Semmeln zu lasch schmecken und der Kaffee zu fade und trotzdem trifft man sich dort. Wie, wenn es keinen anderen Treffpunkt gäbe. Aber das ist es ja: es ist der einzige Bäcker weit und breit. Werde ich also die 30 Tage hungrig und abgemagert sein? Werde ich selber frisches Brot backen und es ganz alleine essen? Habe ich mich so an den faden Kaffee gewöhnt, dass ich ohne ihn gar nicht richtig wach werde?

Und die andere Seite: Kündige ich meinen Ausstieg an? Mache ich es einfach und sehe, ob mich jemand vermisst? Was, wenn es niemandem auffällt, dass ich gegangen bin oder nur Leuten, die mir eh auf die Nerven gehen?

Welche Geschichten werden denn auf Facebook erzählt? Die von den Hochzeiten, zu denen man selber nicht geladen wurde, aber deren Kleider man durchklickt. Die Geschichte der Kinder, die geboren werden und die bereits in der Chronik der Eltern vorkommen mit Fotos und Glückwünschen. Die Geschichte der kleinen Sprüche, die einen Verknüpfungspunkt darstellen, auf die man eingehen kann, die man aufgreifen kann. Ein neuer Job, ein schlechter Tag, ein geklauter Laptop, ein Wochenende als Strohwitwe. Keine wichtigen Sachen, nur halt kleine Geschichten. Mir ist klar, dass sie nicht mir erzählt wurden, keiner hat mich wirklich persönlich gemeint. Sie wurden nur gestreut, jeder konnte sie aufgreifen.

Ich kenne noch Menschen ohne Facebook. Der Kontakt zu ihnen wird brüchig, ein paar Mal gibt es Emails. Sie erzählen mir, dass es schon schwer ist, noch auf den Laufenden zu bleiben. Postkarten zu Babygeburten sind selten geworden. Kann sein, dass man nicht mehr jedes Kind beglückwünschen kann, nicht mehr jeden Geburtstag mitbekommt.

Der älterste Post, den ich sehe, ist vom 16.Juli 2009. Das sind fünf Jahre Facebook. fast jeden Tag Facebook. Bevor die fünf Jahre voll sind, sollte ich dieses Experiment machen. Mich juckt`s  in den Fingern. Ich werde noch diese Woche rausgehen.

Ich bin unterwegs.

2 Comments

  • […] Emailadresse mit meinem fünfjährigen Account versenkt….und mir eine Auszeit verordnet. Waiting for silence, […]

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  • […] Zunächst einmal muss ich sagen, dass ich keinen anderen Menschen folge. Ich folge Stimmen, Bildern, Geschichten, Zitaten, Musik und Firlefanz, hinter denen natürlich Menschen stecken. Ich blicke aber nicht ungefragt in fremde Wohnzimmer. Ich folge Blogs, die explizit einen gewählten Einblick in ihr Leben lassen. Manchmal habe ich aber auch da freilich das Gefühl, dass ich gerade auf die nackten Brüste einer stillenden Mutter starre, aber meistens denke ich eher, dass is so gelackt, das kann nicht echt sein. Mit diesen anderen Blogs interagiere ich grad am liebsten auf Facebook. Ich like oder teile, ich hinterlasse Kommentare oder öffne die Blogs über ihren Facebook-Link. Dabei hatte ich nicht immer so ein easy Facebook-Verhältnis. […]

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