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Vom Dirndl-Grauen und den Trachten

Dirndl oder TrachtVor einem Jahr habe ich über das Dirndl-Grauen geschrieben: Das Oktoberfest als Anwohner. Dieses Jahr erlebe ich das Oktoberfest als Fernsehbeitrag, wie Millionen andere. Nicht mehr das Pappsüße in der Luft, kein Echo *Hey, hey, Baby, huh ah* in der Ferne. Überfüllte U-Bahnen, Kotzflecken am Wegesrand, Security beim Rossmann, Faschingsdirndln. Alles Vergangenheit.

Das Dirndl-Grauen ist vorüber, aber damit ist das Dirndl aus meiner Umgebung nicht verschwunden.

In Bayern tragen die Kellnerinnen Dirndl. Das ist wohl in ganz Bayern so. Aber hier auf dem Land ist das Dirndl auch manchmal das Outfit, in dem man ins Theater geht. Also das Spiegelbild zum städtischen Cocktailkleid? Das Dirndl wird zur Tracht und ich denke, dass es bei vielen das teuerste und damit schönte Kleidungsstück im Schrank ist. Hält man ein 200€-Dirndl schon für teuer fürs Oktoberfest, kann man hier auch 1000€ ausgeben. Dafür wird es getragen, bei Festen oder bei sonstigen speziellen Anlässe.(Welche genau das sind, werde ich genauer beobachten, aber ich habe eine Einladung für den Abschied der Kindergartenleitung im Postfach, mit Andacht in der Kirche, ich bin mir fast sicher, dass man dort auch in Tracht erscheint. Nicht nur, aber doch einige)

In der Volkshochschule sind die Nähkurse für Trachten bereits frühzeitig ausgebucht. Im örtlichen Stoffgeschäft sind gefühlte 65% der Stoffe Trachtenstoffe. Zumindest die Schützen werden doch jährlich neu genäht. In meinen stofflichen Hot-Spots in München gibt es die schon auch, aber da ist man mehr der Mode unterworfen, da es um die Zeit auch viel Spitze gibt. Statt Baumwollstoff für die Schürze Spitze zu nehmen wird hier wohl eher belächelt.

Aber nicht nur die Frauen sind in teuren Trachten unterwegs, auch Männer philosophieren gerne über Leder, Knöpfe und haben sich ihre Hosenträger mit Gobelin besticken lassen. Mit dem passenden Muster zum Heimatdorf. In ein paar Jahren werde ich wohl die Menschen anhand ihrer Tracht zu Dörfern zuordnen können, die keine 20km auseinanderliegen. Kann auch ein Hobby sein.

Meine eigene Tracht behandele ich noch stiefmütterlich. Sie wird zur Reinigung gebracht, jedes Jahr zum Arbeitstreffen auf der Wiesn ausgepackt und dann wieder eingepackt. Aber ich kann nicht sagen, dass das alles hässlich wäre. Viele lassen Trachtenelemente in ihre Alltagskleidung einfließen, wahrscheinlich ohne es zu merken. Ein Janker aus Schafwolle über eine Jeans, ein Rock aus Trachtenstoff, Schuhe, Taschen, Hüte.

Heute morgen habe ich eine Mutter beim Abgeben der Kinder im Kindergarten in Tracht gesehen. Sie könnte eine der Kellnerinnen sein, aber es wäre auch möglich, dass sie zu einem Banktermin geht oder sie irgendein besonderes Arbeitstreffen hat. Weißwurstfrühstück mit dem Kunden? Es könnte aber auch sein, dass sie zur Wiesn fährt. Mit der Bayerischen Überlandbahn in unter einer Stunde. Alles ist immer möglich.

Einen kurzen Blick über die Trachtenstoffe habe ich schweifen lassen heute im örtlichen Stoffgeschäft, vielleicht ja doch mal ein Rock. Noch bin ich bei anderen Stoffen. Aber, wenn man wo wohnt, wo einem auch mal eine schöne Tracht über den Weg läuft und nicht nur das Dirndl-Grauen vor dem Oktoberfest, kann sich auch das ändern.

4 Comments

  • Hana Mond
    22. September 2015 at 09:29

    Ich bin ja ein bisschen neidisch – ich finde Dirndl so wunderschön! Aber obwohl ich einige hundert Kilometer nach Süden gezogen bin, wohne ich immer noch deutlich zu weit nördlich, als dass ich mich im Dirndl nicht verkleidet fühlen würde …
    Aber ganz verzichten will ich doch nicht. Eine Dirndl-Revue liegt im Schrank und wartet, dass ich die Schnittmuster in etwas Nord-Taugliches abwandle. Und so ein Dirndlblüschen zur Jeans ist doch auch außerhalb Bayerns schick und feminin …

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  • Larissa//No Robots Magazine
    24. September 2015 at 18:44

    Ich wohne jetzt seit fünf Jahren in München und finde die meisten Dirndl immer noch schrecklich. Vor allem nervt mich die Masse an fast nackten Brüsten … Es werden wohl noch ein paar Jahre vergehen, bevor ich mir freiwillig eins zulege. Obwohl, in diesem Nähladen in der Gollierstraße hing mal ein echt hübsches (langer Rock! Knöpfe statt Schnüre! hochgeschlossen!) im Schaufenster. Da war ich fast versucht. Aber 300 Euro für ein Kleid, dass ich nur einmal im Jahr tragen würde, war mir dann doch zu viel. (Selbst mein Brautkleid hat ja nur 30 Euro gekostet. ;))

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  • Roxy | early birdy
    1. Oktober 2015 at 08:39

    Ich liebe Dirndl! Jetzt mal abgesehen von den in den letzten Jahren so modern gewordenen Glitzer-, Organza- und Minidirndln (da packt mich auch das Grauen), gibt es kaum ein Kleidungsstück, das einer Frau besser steht. Und ja, auch die halbnackten Brüste finde ich sehr hübsch! Ist doch nett anzusehen!
    Ich habe meine Dirndl beide Second Hand gekauft und jeweils mit Schürze nur 20 und 40€ gezahlt. Beide sind ca. 50 Jahre alt, sehr klassisch und bildschön.

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  • […] ist der Landhauschick ein weit gefasster Begriff. Von Plastik-Dirndl-Grauen bis hin zu den Must-Haves der ersten Herbsttage. Also: ein modisch weit gefasster Begriff. Ich habe […]

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