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Vom Aushalten der Welt

Wörter zu PflastersteinenIn diesen Tagen mag ich schon gar nichts mehr ins Internet schreiben. Zwischen Banalitäten werden Steine geworfen. Jeder hat plötzlich Meinungen. Jeder ist plötzlich politisch. Schlagwörter werden zu Schlagstöcken.

In Gesellschaften geht es oft nicht um Sicherheit, Wohlstand oder Zukunftschancen. Es geht meistens nur um das Gefühl, dass man sicher ist. Oder reich oder eine Zukunft hat. Zustände lassen sich halt nun mal nur in Abgrenzung zu anderen Zuständen definieren.  Wenn es das grundsätzliche Gefühl für Sicherheit, Wohlstand und Zukunft nicht mehr gibt, so ist die Lage gefährlich. Unabhängig davon, ob dieser Zustand der Realität entspricht oder nicht. Gefühle sind nun mal diffus.

Und dazu gibt es natürlich jede Menge Meinungen, Wörter und Statusmeldungen.

Ein Graus.

Von manchen Menschen hätte ich lieber nicht gelesen, welche Meinung sie zu was haben. Und die Meinungen werden immer einfacher. Man muss sich schon Gruppen anschließen. Wenn du zu einem der zahlreichen Themen jenes denkst, gehörst du automatisch zu der und der Obergruppe. Oder: Wenn du sexualisierte Gewalt an Frauen ablehnst, dann kannste ja jetzt wohl nicht mehr mit einem Schild mit *Refugees welcome* rumrennen. Von Bahnhof zu Bahnhof, sozusagen. Ein bahnhofsübergreifendes Problem.

So einfach is des.

Ich wehre mich.

Gegen Stereotype, Meinungsgewalten und die politisch Unpolitischen.

Muss man denn heute zu allem eine Meinung haben? Reicht es nicht mehr aus, einfach Katzenbilder zu teilen? Was ist das Gegenteil von Gutmensch? Ein Schlechtmensch? Kann man sich jetzt nicht mehr aktiv an der Integration von Flüchtlingen beteiligen und es gleichzeitig total scheiße finden, wenn Männer ungefragt ihre Finger in die Möse von Frauen stecken? Warum scheint diese Gleichzeitigkeit nicht mehr zu funktionieren?

Diese Sätze liegen jetzt schon länger hier herum. Auf einem Blog ist man ja irgendwie öffentlich. Ich kann einfach nicht so im neuen Jahr zur persönlichen Tagesordnung mit Sticken, Nähen, Kochen und sonstigen Firlefanz übergehen ohne einmal kurz zu sagen, dass ich die Instrumentalisierung und Stereotypisierung von Menschen zum Kotzen finde.

Ich wehre mich auch gegen Wörter: Gutmensch! Was soll denn das sein? Ein blauäugiger linksorientierter westlicher Cappuccinotrinkender Idealist, der seine Augen vor der Wahrheit verschließt?

Ich kann nur eines sagen: Wer denkt, die Wahrheit zu kennen, die Welt mit wenigen Sätzen erklären zu können, der liegt von vornherein falsch. Der Augenzeuge sieht nur einen Ausschnitt der Realität. Und mehr als Augenzeugen können wir trotz hohem Informationsfluss nicht sein. Manchmal muss man es auch aushalten können, sich die Welt nicht bis ins kleinste Detail erklären zu können. Nicht, um tatsächlich die Augen verschließen zu dürfen. Immer weiter, immer interessiert sein.

Aber an manchen Stellen wird nicht alles zusammenpassen. Kulturell geprägte Frauenbilder, Sexismus, Flucht, Familientragödien, Werte, Diebstahl, Nötigung, Terroranschläge. Das kann gleichzeitig passieren, das kann in der Biographie eines einzigen Menschen alles vorkommen, das kann unabhängig voneinander passieren.

Gerade in Zeiten, wo Gruppen bestimmte Vorstellungen pauschal zugeordnet werden, muss man wachsam sein. Es ist weder so, dass alle Männer mit arabischen oder nordafrikanischem Hintergrund frauenverachtende Ansichten haben, noch ist es so, dass keiner von ihnen frauenverachtende Ansichten hat.

Kompliziert halt – und weder das eine noch das andere ist nachprüfbar.

Die Welt ist so, war schon immer so. Es gibt von Haus aus immer mehr Fragen als Antworten. Wer weniger Fragen hat als Antworten, der sollte sich überlegen, für wie viele verschiedene Fragen er die gleiche Antwort benutzt. Oder welche Fragen er unbeantwortet abgehakt hat.

Und dann kommen die Frauen.

Nach Jahren kommen die Frauen – und die tausend kleinen und großen Verletzungen der Würde und der sexuellen Selbstbestimmung. In einer Gesellschaft, die ihre Produkte nur zu verkaufen scheint, wenn man daneben oder direkt drauf möglichst große Titten abbildet. Die Frauen, die immer einen zu kurzen Rock getragen haben. Die stets *richtig* reagieren müssen, wenn man sie nötigt oder vergewaltigt. Selbstbewusst und mit erheblichen Protest nämlich. Die man bei sexuellen Übergriffen immer mitfragt, was sie denn dazu getan haben. Die meistens eh schweigen, weil es nichts bringt, was zu sagen. Die meisten angezeigten Vergewaltigungen führen nicht zu einer Verurteilung.

Eine Armlänge Abstand muss ich mich von der Empörung fern halten. Dabei wäre die Empörung so richtig, wenn es denn nur einen Moment um Frauenrechte ginge.

Gerade in Zeiten, wo Gruppen bestimmte Vorstellungen pauschal zugeordnet werden, muss man wachsam sein. Die Welt läßt sich nicht so einfach erklären. Ich weiß, dass ich nichts weiß.

(unabgeschlossen) 

Bildquelle: pixabay

 

 

 

2 Comments

  • Roxy
    16. Januar 2016 at 20:14

    Danke dass du das geschrieben hast. Ich bin gestern weinend am Küchentisch gesessen, nachdem ich die Statusmeldungen von zweien meiner fb-Freindinnen gesehen habe. Ich habe jetzt zwei Freundinnen weniger. Und es sind nicht die ersten die ich gelöscht habe, werden wohl auch nicht die letzten sein.

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  • uli
    17. Januar 2016 at 20:36

    Super geschrieben, danke. Es gibt dem nichts hinzuzufügen – natürlich schon, aber es ist ein Fass ohne Boden. Manchmal wünsche ich mir, dass manche Leute einfach lieber nicht „denken“ würden. Lg Uli

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