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Urban Exploration oder die Schönheit des Verfalls

Urban exploration 1Manchmal gerät mal halt in etwas rein, dass man am Anfang gar nicht überreißen kann. Wie groß es eigentlich ist, mein ich.“ Julia zieht an ihrer Zigarette, wir sitzen im Sommerabend-Wien bei einem verlassenen Wochenmarkt auf Holzkisten und rauchen. Julia erzählt mir von ihrem neuem Hobby, dass aus einer Laune heraus entstand und jetzt nach wenigen Monaten zu einem großem Ding für sie geworden ist. Dass meine Freunde seltsame Hobby pflegen, daran bin ich inzwischen gewöhnt. Aber ihres ist mir noch nicht untergekommen. Auch wußte ich nicht, dass es überhaupt ein Hobby sein kann. Mir fehlte der Name dazu, aber fangen wir von vorne an.

Es geht um Fotographie, da bin ich ja gedanklich dabei.

Man kann ja alles mögliche fotografieren: Seinen Alltag, vermeintlich schöne Menschen, Frauenbeine, Kinder, Hochzeiten, Inneneinrichtungen, Gebäude, Straßenzüge, Nachtcafés, Produkte zum Kaufen.

Ich habe mit dem Fotografieren angefangen und hatte schon immer einen Platz in Wien im Kopf, den ich gerne festgehalten hätte. Eigentlich ist es ein Gebäude. Es wurde verlassen und verschwindet vor sich hin. Dieser Prozess der langsamen Zerstörung von Dingen, der Verfall, der hat mich interessiert und ich bin los, ihn zu fotographieren. Da hatte ich ja noch keine Ahnung.“

Die Ahnung gewinnt Julia langsam, denn es gibt eine große Gemeinschaft, die sich um das Verlassen in der Fotographie kümmert. Urban Exploration, so nennt sich das lautlose Eintreten in verfallene Häuser, bei denen man nichts mitnimmt und auch nichts verändert, sondern im dunstigen Licht den Ausschnitt Apokalypse festhält. Mit der Kamera. Julia unternimmt inzwischen Reisen zu den Hotspots der Szene, über Europa verteilt. Sie ist im Netz und unterwegs auf Gleichgesinnte gestoßen.

„Eine irre große Gruppe, die sich damit beschäftigt. Manchmal finden wir auch noch alte Briefe, da freu ich mich dann besonders.. und besonders gern mag ich´s, wenn Pflanzen, Pilze und Farn anfangen zu wachsen, die Natur zurückerobert.

Julia hat ihr Herz in den zerfallenden Grand Hotels der Jahrhundertwende gefunden und begeht die Räume aus fremden Leben, die schon längst vergangen sind. Manchmal gibt es Geschichten dazu, manchmal nicht.

Im Haus, dass sie das Haus der Ärztin nennt, findet sich eine Patientenmappe aus 1903. Diese Dinge sollten gar nicht mehr hier sein. Sie sollten schon längst archiviert sein, in einem Museum, abgestaubt, verbrannt, recycelt, weggeworfen, aber sie sind liegengeblieben vom Letzen, zu deren Alltag sie gehörten, ein Gebrauchsgegenstand, dessen Gebräucher unter der Erde zu Staub verfallen ist. Sie wurden von der Zivilisation übersehen, der Anflug einer Welt ohne Menschen.

Es ist immer eine Gradwanderung, denn irgendwo ist ein jetzt noch ein Mensch oder eine Stadt übrig, die diese Gebäude verfallen lassen und streng genommen ist auch der mit Moos überwachsende Barhocker noch jemandes Eigentum. „Aber die echten Urban Explorer sind streng, sie nehmen nie auch nur ein Stückchen mit. Alles wird so gelassen, denn das ist die Schönheit der Dinge, die uns nicht mehr gehören.“

Julia zeigt mir Fotos. „Ich mag’s besonders gern, die kleinen wunderschönen Details in all dem Verfall zu entdecken, zum Beispiel wenn die Sonne auf abblätternde Wandfarbe oder das zerfetzte Volleyballnetz einer verlassenen Turnhalle fällt.“ Ein bisschen träumt sie.

Julia erzählt mir die Geschichte eines Ehepaares. Gefunden von dem Leben wurde ein Hochzeitsalbum. Die Frau soll sich nach der Hochzeitsnacht umgebracht haben. Zwei Sessel bleiben aus der Geschichte zurück. Das sind seltene Funde, Dinge mit bekannter Geschichte. Meistens ist die Geschichte schon mit den Menschen verschwunden und zurück bleiben nur die liegen gelassenen Sachen.

Urban Exploration 2

Einen Einblick in die Zwischenwelt nach uns könnt ihr euch auf Augenblickfang ansehen: Facebook 

Ich habe einen Hang zur Apokalypse und höre mir ihre Geschichten in diesem langen Abend in Wien an, zwischen Obstkisten und Nachtschwärmern. Ein Müllauto spritzt Wasser über den Asphalt und wir gehen in die Wohnung zurück. Meine Freunde haben seltsame Hobbys und ich bin heilfroh drum oder in den Worten Jack Kerouacs:

the only people for me are the mad ones, the ones who are mad to live, mad to talk, mad to be saved, desirous of everything at the same time, the ones who never yawn or say a commonplace thing, but burn, burn, burn like fabulous yellow roman candles exploding like spiders across the stars

Bildquelle: @Juliavonaugenblickfang

6 Comments

  • Ela
    2. Juni 2015 at 20:24

    Wie schön! Das würd ich auch gerne mal machen!
    🙂

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  • Roxy | early birdy
    3. Juni 2015 at 09:05

    Großartige Sache! Wollte das auch schon immer mal machen, seit ein bekannter von mir mal damit begonnen hat. Muss jetzt mal den Mann motivieren, der muss nämlich dann das Foto-Equipment schleppen 😉

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  • *thea
    3. Juni 2015 at 09:41

    ein spannedes hobby …gleich mal auf Facebook die Seite abonniert 😉

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  • […] Mit Kinder kommt das leider öfter vor. Ich habe immer hübsche Teller zusammengestellt. Nach meinem Besuch in Wien habe ich von Julia einen sehr simplen Tipp bekommen: Sie essen das, was sie sich selber auf den […]

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  • […] habe einen Hang zu Apokalypse. Ich mag marode Bilder, eigene oder von anderen, ich mag Bücher über Zombies, manchmal sogar […]

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  • […] habe einen Hang zu Apokalypse. Ich mag marode Bilder, eigene oder von anderen, ich mag Bücher über Zombies, manchmal sogar […]

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