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Trotz bei Kleinkindern – die erste Begegnung mit dem eigenem Willen

Trotzkopf_1Letzte Woche bin ich mit meinen beiden zweieinhalbjährigen Zwillingen ohne Kinderwagen die Straße entlang gegangen. Mein Ziel war ein Lokal bei uns in der Nähe, die Idee war Mittagessen. Plötzlich wirft sich einer der beiden auf den Boden, heult unerlässlich und will getragen werden. Geht nicht. Wenn ich einen trage, dann will der andere auch getragen werden – und beide gleichzeitig? Sorry. Geht nicht. Ich beuge mich zu ihm runter und rede ihm gut zu. Ich lasse ihn zurück und sage, dass ich jetzt weiter gehe. Ich kehre wieder zurück und rede wieder gut zu. Das ging so bis zum Lokal. 100 m haben eine Stunde gekostet. Beim Zurückgehen ereilt mich dasselbe Schicksal. Ich bin in einer ausweglosen Situation, kann das Kind ja schlecht mit einem Post-it zurücklassen (Abzugeben nach Wutanfall bei der und der Adresse), ich kann aber beide auch nicht tragen. Es geht nichts mehr. Ich werde wütend, drohe. Ich werde sanft, rede gut zu. Ich suche in mir meine eigene Geduld und erkenne: das ist eine neue Dimension von Auseinandersetzung. Das ist ein echter Konflikt. Passanten werfen mir strafende Blicke zu. Okay, Ich bin gescheitert. Mein halbkrankes, total müdes Kind liegt gerade wütend auf dem dreckigem Bürgersteig und heult mit offenem Mund gegen eine Pfütze. Es sieht erbärmlich aus. Ich sehe wohl verzweifelt aus. Mit der richtigen Erziehungsmethode würde man diese neumodischen Allüren schon austreiben können. Das zumindest sagen die Blicke der älteren Frauen, die mir begegnen. Ich versuche es mit immer besseren Versprechungen. Komm schon, Junge, jeder Mensch ist käuflich. Was ist dein Preis? Ich erahne schon, dass Vernunft, Verhandlung und Zukunftsaussichten nicht unbedingt der Horizont von Kleinkindern ist, aber was anderes fällt mir nicht ein…Schließlich verspreche ich, dass wir im Mama-Bett zusammen eine Folge ihrer Kindersendung auf dem Ipad angucken, sofort, wenn wir nach Hause kommen, wenn er jetzt nur aufsteht und nach Hause geht. Es ist eine von hundert Versuchen, ihn zum Mitmachen zu bewegen. Plötzlich klappt es. Aus heiterem Himmel. Er wischt sich die Tränen aus den Augen, steht auf und geht nach Hause. Boah, was ist das jetzt, denk ich mir und erkenne: Ich hab so was von keine Ahnung von Kindern. Gut, dass ich welche habe. Vielleicht lerne ich ja was. Neuste Lektion: TROTZ

Zur allgemeinen Erheiterung meiner Abendstunden habe ich mir 3 Erziehungsratgeber geholt:

Jan-Uwe Rogge: Wenn Kinder trotzen. rororo

Annnette Kast-Zahn: Gelassen durch die Trotzphase. GU Verlag

Gertrud Teusen: Trotzalarm. Anleitung zur Gelassenheit. urania Verlag

Eines habe ich schon gelernt: Der typische Trotz ist mir also noch nicht begegnet. Der Trotz, der aus dem Zusammentreffen von Wunsch und Wirklichkeit entsteht und Kinder rasend macht, weil sie noch nicht alles so können, was sie wollen. (oder doch?)

Mein in dieser Episode trotzender Sohn findet im Allgemeinen spazieren gehen ziemlich scheiße. Er mag rennen, gut. Er mag klettern, gut. Aber von A nach B trotten? Ätzend. Das weiß ich auch, ich leb ja mit ihm. Er hat bis jetzt nur immer mitgemacht, bisschen heulend, aber immerhin. Aber wirklich was entgegen setzen? Nicht unbedingt in der Dimension, mit der ich nicht zurecht gekommen wäre. Er wirft sich also auf den Boden und rebelliert so richtig und echt gegen meine Idee. Er kann eigentlich nichts selbst bestimmen. Ich wische ihm den Mund ab, wenn er Marmelade isst. Ich bestimme seine Kleidung. Es wird gegessen, was ich koche. Ich sage, ob er fernsehen darf oder nicht. Ich sage selbst an, wann es Abend wird und wann er ins Bett zu gehen hat.

Okay, vielleicht verstehe ich seinen Trotz. Der kleine Punk in mir würde sich auch auf den Boden werfen, wenn mir jemand die ganze Zeit meine Welt beschränkt und sich dann auch noch zwischen mir und meinem Mittagessen mit der schlimmsten aller Fortbewegungsmöglichkeiten kommt: spazieren gehen…pfff

Wenn ich diese Erziehungsratgeber mal durchgelesen/überlesen/überflogen oder studiert habe, werde ich euch eine kleine Zusammenfassung geben. Ich bin gespannt, ob ich was lerne oder ob meine eigene Beobachtung schon ausreicht. Ihr seht, im Moment bin ich gelassen und zuversichtlich….ändert sich auch wieder…

5 Comments

  • Hana Mond
    22. Januar 2015 at 08:41

    Achtung, Antwort von Nichtmutter – 😉
    Was ich aber von einer anderen Mutter mal gelesen habe zum Thema „Kind darf selbst bestimmen“ vs. „Mama bestimmt“: Das Kind Kleinigkeiten bestimmen lassen … also, Mama bestimmt, dass die Zähne geputzt werden, aber ob Mama die Zahnpasta auf die Zahnbürste macht oder das Kind selbst, darf das Kind entscheiden. Es werden Socken angezogen, aber ob die Bärchen- oder Blümchensocken, darf das Kind entscheiden. Vielleicht gibts da auch was beim Spazieren gehen (habe ich als Kind auch gehasst … wenn auch nicht das „von A nach B“ sondern das „eine Runde flanieren“ um seiner selbst willen), was das Kind selbst entscheiden kann, so dass es mehr das Gefühl hat, bestimmen zu können?
    Machst du wahrscheinlich schon … aber ich (als Nichtmutter) fand den Gedanken so schön und eigentlich naheliegend, dass ichs mal erwähnen wollte.
    Um Trotz kommt man ja nicht herum, so oder so, klar, da lernt das Kind eben bestimmte Dinge und mit bestimmten Gefühlen umzugehen, was erstmal noch nicht klappt …
    Zum Trage-Problem: Wäre es vielleicht eine Option, die Kinder abwechselnd zu tragen? „Bis dahin du, dann du, dann wieder du“? Umständlich, aber besser, als gar nicht fortbewegen? Oder denke ich da unpraktisch?
    Ich wünsche dir alles Gute und viel Energie für die trotzenden Kinder 🙂

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    • fadenvogel
      22. Januar 2015 at 10:10

      Danke für deinen Kommentar. Ich finde es total erstaunlich, dass du als Nicht-Mutter (wie du ja erwähnst) so selbstverständlich davon ausgehst, dass man um Trotz nicht herumkommt. Als ich noch unbefleckt von Karottenbrei war, dachte ich schon, dass man da herumkommt. Ich denke, dass viele Eltern das auch noch denken und wie die Gesellschaft manchmal auf Kinder reagiert, die sich im Zorn auf den Supermarktboden werfen – da ist auch nicht die große Verständnis-front anwesend…also erstmal TOP, dass du das einfach weißt.

      Abwechselnd tragen habe ich in diesem Beispiel auch versucht, aber das war eine große Katastrophe, weil der andere dann auch gejammert hat und ich dann nicht mehr „good kid- angry kid“ vor mir hatte, sondern „angry heavy kid – angry hands waving Kid“ – Und wie gesagt, große Verständnistiefe hat das Alter einfach noch nicht.

      Bei diesem Beispiel ist bei mir einfach der Groschen gefallen. Ich wußte, dass ich nichts mehr weiß. Neuland betrete und ich dabei – hört sich erstmal egoistisch an – für mich eine gute Lösung suchen möchte. Ich muss am Ende mir selbst als Mutter sicher sein. Und das war ich nicht. Wenn ich ein gutes Gefühl für mich selbst habe, dann kann ich den Kindern durch ihren Zorn helfen – oder es schlichtweg aushalten. Mein Gedanke war aber: Scheiße, ich bin gescheitert. Ich habe eine Abzweigung verpasst. Was habe ich falsch gemacht? Kalt erwischt, würde ich sagen….

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  • Frau Krähe
    22. Januar 2015 at 12:01

    Liebe Sabine
    Gratulation! Es geht los. Hier auch. Du schreibst mir aus der Seele. Dies vorweg. Auch ich: Oft hilf- und ideenlos. Trotzdem, ich glaube, ich beurteile die exakt gleiche Situation ein bisschen anders. Mein Kind wird gross, oder mindestens grösser. Es spürt, was es will und was nicht. Es steht für seine Grenzen ein. Wunderbar. (Aber eben, nicht einfach.)
    Gestutzt habe ich ein bisschen bei dem Abschnitt, wo du schreibst, dass er eigentlich nichts bestimmen kann. Ich mache die Erfahrung, dass vieles stressfreier läuft, wenn das Kind vieles selber machen darf. Bsp: Mund nach Marmeladebrotkonsum putzt er sich gerne selbst mit Lappen, wenn er im Spiegel seine Fratze gesehen hat. Auch selbst bestimmen liegt in einem bestimmten Rahmen drin und entschärft vieles: Grüne oder rosa Zahnpasta? Apfel oder Birne? Laufrad oder Hundeleine halten? (Natürlich nur immer Auswahlmöglichkeiten, mit welchen ich leben kann.). Wie sind deine Erfahrungen mit solchen Absprachen?
    Aber gell, auch hier ist nicht süsse Harmonie; Wickeln z.B. ist ganz schlimm im Moment und auch hier gibt es oft riesiges Geheul bei „Nein“ und Sachzwängen. Also: Her mit allen Erkenntnissen! 😉
    Ui, jetzt habe ich viel geschrieben, aber ich finde es einfach so wichtig, dass wir nicht salopp unsere Kinder in die „Trotzschublade“ stecken, sondern echt und ernsthaft herausfinden wollen, was sie so (und oft zu Recht) auf die Palme bringt. Damit wir sie ernst nehmen und eine echte Hilfe sein können und dabei auch noch unsere Nerven behalten. 😉 Fette Geduldsseile wünsche ich dir (und mir)!
    Liebe Grüsse, Martina
    P.S.: Und die Blicke…: das gibt Stress im Mama-Hirn und sabotiert gute Ideen. Richtig fies deshalb, die „öffentlichen“ Ausraster. Dem Kind und sich selbst zuliebe: Ignorieren. Und zwar total. Ganz beim Kind und sich selbst bleiben, emotional und gedanklich. Ich weiss, fast unmöglich. Für mich auf jeden Fall.

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    • fadenvogel
      22. Januar 2015 at 17:57

      Hallo Martina,

      Meine Erfahrungen mit Absprachen? So Auswahlmöglichkeiten? Klar, es gibt Felder, da können sie so ziemlich machen, was sie wollen. Im Prinzip meinte ich damit, dass die Wahlmöglichkeiten auch von mir kommen und wollte mich damit mal radikal in einen kleinen Menschen reinversetzen. Oder in einem blaue oder grüne Socken-beispiel zu bleiben: es gibt Socken. Das mal auf jeden Fall. Die Wahl dreht sich um Farbe, aber nie um Socken oder Nicht-Socken.

      Manchmal muss ich ziemlich lachen: Kaum können sie bisschen sprechen, verhandeln sie.

      danke, dass du so ausführlich geantwortet hast. bei mir gibts jetzt gleich essen…deswegen so kurz…schnelle grüße

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  • Larissa//No Robots Magazine
    23. Januar 2015 at 10:22

    Ich hab neulich ein paar gute Tipps gelesen, aber da ging’s eher darum, den Trotz vorher zu vermeiden, damit das Kind deine Pläne nicht durchkreuzt. Hm. Wo hab ich das nur gelesen? Ich weiß noch, dass die Tipps auch gut bei Männern sind: Früh genug ankündigen, dass man etwas machen will und kurz vorher kurz mit dem Kind und seiner aktuellen Tätigkeit beschäftigen, damit es glücklich ist.
    Seien wir auch mal ehrich: Kind sein ist ja auch irgendwie scheiße. Ich bin jeden Tag glücklich, erwachsen zu sein, damit nicht permanent jemand anderes über meine Zeit bestimmt. Kann schon verstehen, dass Kinder da genervt sind. Aber hilfreich ist das vermutlich auch nicht. 🙁

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