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The Undead: Der Anfang vom Ende von Anne Reef

Ich habe Angst vor Zombies. Nicht einfach nur gruselige Angst, es ist wirklich mein Alptraum. Aber nicht wegen den ganzen Hautlappen, die herunterhängen, den Verwesungsgerüchen und dem fauligem Fleisch. Es ist mein Alptraum, da sich Zombies langsam bewegen und man einen Moment noch denkt, man könnte es schaffen. Wie Ertrinken.

Anne Reef hatte es also leicht mit mir, als sie die Zombieapokalypse in meine Heimatstadt brachte. Danach verliert sich aber schnell die Spur wieder. Zwischendurch wird Frankfurt genannt. Ich kann das beschriebene Gebiet also grob eingrenzen, aber es ist eigentlich schade, dass es so völlig unwichtig ist. Dieses Buch könnte überall spielen. Allerdings wundere ich mich zwischendurch schon, dass es so viel Einöde gibt. Wenn hier die Toten aufstehen würden, dann wären es viel mehr.

Gleich zu Beginn gibt es eine Szene, in der einer bedauert, keine lautlose Armbrust zu haben und ich dachte – wie einige Male – an The Walking Dead. Anne Reef muss die Serie wirklich inhaliert haben, denn sie kommt zu den selben Schlüssen: die Lebenden sind gefährlicher als die Toten und man braucht eine Gruppe, für die es sich zu kämpfen lohnt. Das ist nicht negativ gemeint. Ich hätte eine Abwandlung von The Walking Dead echt genossen, aber ich hatte mit dem Zentrum  – der Gruppe –  meine Probleme.

[spoiler title=“Neugier wird dir hinter SHOW die Leselust bis zur Mitte des Buches verderben“]Das Tempo ist zu Beginn noch unbestimmt und langsam, man trifft die Hauptfigur Jenny und ihren Bruder Chris. Er bringt noch einen Freund mit und die drei ziehen los. Relativ schnell werden sie brutal, relativ schnell finden sie ihre Gruppe und es kommt nicht zu einzelnen Figureneinführungen, sondern der Leser ist mit vielen Menschen konfrontiert.

Jenny macht ihrer Namensvettern alle Ehre, sie ist tatsächlich eine Seeräuberbraut, da sie kalt wie ein Fisch ist. Und da man die Welt mit durch ihre Augen sieht oder zumindest über ihre Schulter gucken muss, ist man auch nicht sonderlich berührt.

Ich habe ständig die Personen verwechselt. Dave und David? Wer war jetzt noch mal der Vater von dem Kind? Manche wohl klug ausgedachte Wendung blieb so für mich völlig auf der Strecke. Einen kleiner Faden, eine winzige Erinnerung, die die Hauptfigur mit den einzelnen Figuren verbindet, eine Emotion, die der Leser (der nicht moralisch abbaut und von Zombies gejagt wird) mit den Figuren verbindet, wäre schön gewesen.

Einmal kurz hält Jenny inne und überlegt, ob die Folterung eines Gruppenmitgliedes, das danach zu Tode kommt, wirklich nötig war, aber das ist nur ein Halbsatz. Ich denke, Jenny ist es wurscht, wer gefressen wird und so ist es dem Leser auch egal. Manchmal erinnert sich Anne aber daran, dass es eine Gruppenstruktur gibt: sie erfindet einen Anführer. Klar, der wird immer wieder erwähnt, aber besonders heldenhaft kommt er nicht rüber. Wenn die Autorin nicht ständig sagen müsste, dass er der Anführer ist, dann würde man es nicht unbedingt merken. Zumindest zu Beginn nicht. Das ändert sich später im Buch. Auch der Bruder taucht abrupt auf und abrupt wieder ab. Lange macht sich Jenny über ihn keine Gedanken und dann doch wieder – wie aus dem Nichts[/spoiler]

The Walking Dead war auch deswegen so erfolgreich und spannend, weil die Figuren ihre eigenen Grenzen nach und nach überschritten haben – in allen Richtungen. Sie Haben ihren Ursprung im alten Leben, dem Leben vor den Zombies und dann werden sie erst in der Apokalypse real und finden sich selbst. Eine Verankerung in der Zeit davor, in der Zeit, in der wir sie kennen und sein könnten, als sie wie wir waren, ist aber unerlässlich.

[spoiler title=“Neugier wird dir hinter SHOW die Leselust bis kurz vor dem Ende des Buches verderben“] Anne Reef macht das mit ihren Figuren gesagterweise nicht. Ich habe mich sehr geärgert und habe trotzdem nicht aufgehört zu lesen. Irgendwie war es doch spannend. Die Wendungen kommen plötzlich, viel klappt nicht. Eine seitenlange Einführung wird je abgebrochen, da sich die Idee ins Gegenteil gekehrt hat.

Und irgendwann habe ich Jenny verstanden.

Anne Reef lässt ihre Figuren so sein wie sie sind. Vor allem bei Carlos fällt das auf. Keiner ist gut, keiner ist dazu da, sich mit ihm zu identifizieren. Sie sind alle auf ihre Art unmenschlich und das macht sie unberechenbar. Jenny tötet trotz gegenteiliger Versprechungen jemanden ohne mit der Wimper zu zucken. Ihr gefällt das Abenteuer, sie lebt den Alptraum mit Genuss. In einem Halbsatz vermisst sie mal das Internet, aber sonst kommt absolut nichts zu früher von ihr. Ich bin überrascht, dass sie das Leben im Dorf schätzt.

Wenn etwas allerdings moralische Fragen aufwirft, dann tippt Anne das nur an. Die Befreiung des Kindes, bei der Jenny kurz mit dem Kind alleine ist und ein sehr interessantes Gespräch führt, bleibt ohne Widerhall. Der Leser vergisst die Szenerie sofort wieder, da es Jenny sofort vergisst. Einzig der erste Mord wird einmal von Chris gegen Ende wieder erwähnt und Jenny sieht wenigstens wie sie reagiert: mit dummen Floskeln sitzt sie neben ihrem Bruder, sagt dumme Floskeln, ist null berührt und denkt wenigstens auch, dass das jetzt wohl dumme Floskeln sind. Wenn sich der Leser also einmal darauf eingelassen hat, von Jenny nichts mehr zu erwarten, sie gut und gerne nicht zu mögen und ihren moralischen Verfall von heute auf morgen einfach hinzunehmen, wird er trotzdem mit einer spannenden Geschichte belohnt [/spoiler]

Trotz den Probleme mit der Gruppe, die ich als Leser hatte, wird das Buch zum Ende hin immer besser. Besser, weil man sich eben schon auf bestimmte Beschreibungen der Autorin eingelassen hat und sie bringt ja wenig Zuwachs in die Gruppe, wenigstens wenig Zuwachs, für die Jenny sich interessiert. Die Enttäuschung, dass man mit den Gruppenmitgliedern nicht so mitfühlt und sie nicht erreichen kann, vergeht in der Mitte des Buches. Gegen Ende ist es so, dass ich wirklich die Art des Erzählens gut fand. Anne Reef möchte keine Gefühle erschreiben, sie lässt dich mit deinem Wunsch nach ein bisschen Zivilisation im Regen stehen.

[spoiler title=“Neugier wird dir hinter SHOW das Ende verderben“] Die Taktik, dass man das Gegenlager durch Carlos Augen sieht, ist wirklich gut gemacht. Der Leser kennt also mehr als Jenny und das tut der Spannung gut. Der Biss in die Hand ist genial. Wie alles, völlig nebensächlich und unnötig. Jenny kann sterben. Klar, der Leser ist mit dem Teil über die Wissenschaft schon in Erwartung, dass die Hauptfigur mutieren wird, aber kurz ist wieder alles möglich. Sie könnte sterben. [/spoiler]

Wer sich also darauf einlässt, dass es aussieht wie The Walking Dead, es aber überhaupt nicht so ist, da es den Leser mit den Figuren emotional nicht mitnimmt, es also nicht um eine Gruppe und ihre inneren Strukturen geht, sondern nur um das Scheitern, den Kampf und den kalten Fisch Jenny, der wird mit Spannung belohnt.

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