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Mein persönlicher Islam

Als auf Facebook die Worte „Je suis Charlie“ in meinem Profil auftauchten, konnte ich zunächst nichts damit anfangen. In den Nachrichten wurde mir die Botschaft klar und seither verfolge ich die Ereignisse in Frankreich mit Entsetzen.

Je suis Charlie.

Unabhängig davon, dass ich Karikaturen nicht besonders schätze und vorher diese Zeitschrift, die in den deutschen Medien als ein Symbol der französischen Pressefreiheit gefeiert wird, nicht kannte.

Der schwarze bissige Humor der gezeichneten Satire ist mir ein zu intellektueller Humor, ein zu bösartiger. Ich muss nicht darüber lachen können, aber mein Glaube und mein Sinn für Freiheit halten Kommentare der Zeichner aus, auch wenn sie einen Jesus in kompromittierenden Haltungen zeichnen und ihren Finger damit in die Wunden unserer Gesellschaft legen. Warum nehmen junge muslimische Männer dies so ernst?

Und dann wird mitten in Europa ein jüdischer Supermarkt überfallen.

Die Gesichter der Männer und der Frau flimmern über meinen Fernseher. Es sind so junge Menschen. Das sind also die Gesichter des Terrors. Wie lange wird es dauern, bis mein Unterbewusstsein die Merkmale dieser Gesichter in einen allgemeinen Rassismus übersetzen? Bin ich nicht schon betroffen?

Ich überlege, was mein wirklich persönlicher Kontakt zum Islam ist.

Im ersten Moment würde ich sagen, ich habe gar keinen Kontakt….vielleicht bin ich auch zu weit weg mit meiner Mutterschaft und meinem kleinem Job…vielleicht treffe ich niemanden und sehe niemanden, weil mein Leben zu langweilig und mittelklassemäßig ist…

Dann muss ich weiter überlegen. Ich lebe in dem Stadtteil Münchens mit einem sehr hohen Ausländeranteil, es muss doch irgendwo auch einen Muslimen geben.

Ich habe einen türkischen Supermarkt um die Ecke, der auch ein Metzger ist. Ich habe mal nach Hackfleisch gefragt und Halbhalb gesagt. Der Metzger hat mich angelächelt und gesagt, dass ich halb Rind halb Lamm haben könnte, wenn ich wollte. Da wurde mir klar, dass er kein Schweinefleisch verkauft und ich habe dann das Lamm genommen. Offensichtlich Muslime.

In meiner Kinderkrippe gibt es wohl auch ein muslimisches Kind, ich habe vergessen, welche Eltern das waren. Ich habe es wirklich vergessen. Ist mir völlig egal.

Der Islam gehört wohl zu meinem Leben dazu. Er ist da, ohne dass er mich bedroht oder mich auch nur anspricht. Er lebt neben mir und mit mir und meine Kinder teilen sich mit ihm ihre Kindheitserinnerungen.

Trotzdem gibt es die unbekannten jungen muslimischen Männer, die jüdische Supermärkte überfallen und Satiriker erschießen…

Wenn ich junge arabische Männer in der Stadt sehe…

…dann bin ich ziemlich froh, weil meine eigene persönliche Statistik nämlich besagt, dass junge Männer zwischen 18-30 Jahren aus den arabischen oder afrikanischen Raum am meisten und am besten auf mich Acht geben. Mit „mir“ meine ich: den riesigen Zwillingskinderwagen, mit dem ich über Treppen oder Rolltreppen mit Laufrichtänderungen muss. Das sind nämlich diejenigen, die immer die Rolltreppe oben freihalten, den Wagen über Treppen hieven und zwar völlig unaufgefordert. Vielleicht liegt das an einer anderen Erziehung oder an einer mir unbekannten Sozialisierung im Elternhaus – das vermute ich stark – und ich bin begeistert davon. Viele dieser Männer sind bestimmt Muslime. Deutsche Anzugträger haben noch nie meinen Zwillingswagen irgendwo hin getragen….ich würde also eine Islamisierung des Abendlandes in dieser Richtung eher begrüßen…

Aber so ist das mit persönlichen Erfahrungen, denke ich mir, während weiter die Fernsehbilder zu Paris laufen. Ein türkischer Supermarkt ohne Schweinefleisch, ein Kinderkrippenkind und eine persönliche Beobachtung in der Begegnung mit Fremden, ein Gedanke bei einer ausweglosen Kinderwagensituation (Sind irgendwo arabische Männer zu sehen? Die helfen bestimmt, weil sie meine Misslage grad wortlos erkennen)

Ich möchte mein Bild des Islams mit diesen persönlichen Bildern füllen und nicht mit den Terrorbildern im Fernsehen.

Natürlich ist mir klar, dass ich nicht in einem sozialen Brennpunkt lebe. Ich war in Paris und habe mir dort in einem Café mal eine heiße Schokolade bestellt und musste 15 € dafür zahlen. Ich habe schwer geschluckt und mir damals schon gedacht, was macht man mit einer Gesellschaft, in der sich viele nicht leisten können, ihre Mädchen zu einer heißen Schokolade einzuladen. Aber das ist nicht das Bild in meinem Fernseher. In meinem Fernseher wird oft von der Radikalisierung des Islams erzählt.

Der Terror hat nichts mit meinem Islam zu tun.

5 Comments

  • Larissa//No Robots Magazine
    10. Januar 2015 at 13:19

    Sehr gute Gedanken hast du da. Es ist wirklich schwierig, bei all diesen Bildern, sich nicht verängstigen zu lassen. Wie ich ja auch schon mal geschrieben habe, verunsichern mich fremde Menschen schon. Ich finde es normal, dass man von fremden Situationen verunsichert wird. Und dazu kommen natürlich auch die Assoziationen, die einen in den letzten 13 Jahren von den Medien aufgedrängt werden. Muslime = Gefahr.
    Aber ich hasse den Islam nicht. Und ich will mich nicht von ihm ängstigen lassen. Ich hasse Fundamentalisten und Extremisten. Egal welcher Gesinnung. Für mich sind die Terroristen keine Muslime sondern Wahnsinnige. Mit mit dem Islam hat das für mich nichts zu tun. Ich bin sehr froh, dass die großen Imame sich öffentlich gegen die Anschläge ausgesprochen haben.
    Aber ich finde es auch faszinierend und ein wenig beängstigend, dass ich so gut wie keinen Kontakt zum Islam habe. Ich habe unfassbar viele Freunde und Bekannte, die in anderen Ländern geboren wurden. Darunter ist ein einziger Moslem (der nicht sehr muslimisch ist). Warum nur so wenig?

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    • fadenvogel
      10. Januar 2015 at 21:13

      Danke für deinen Kommentar. Das große Weltgeschehen auf die eigenen kleine Lebenssituation runterzubrechen, ist manchmal schwierig und man kommt sich selbst so naiv vor, aber die Frage, wie genau der nichtmediale eigene Kontakt zum Islam aussieht…finde ich schon auch ein interessanten Gedanken. Mir ist noch eine seltsame Begegnung eingefallen: Ich stand mal mit Anfang 20 in einer deutschen Unternehmenskantine. Ich hatte damals große Ohrringe an und dunkle Haare. Ich habe den Reis gewählt und der junge Ausgabemensch hat mich kurz angeguckt und etwas auf arabisch gesagt. Als ich nicht reagierte, hat er auf deutsch wiederholt: Das ist mit Schweinefleisch. Ich habe überhaupt nicht kapiert, was er von mir wollte. Und er sagte wieder: Das ist Schweinefleisch, ob das mir was ausmachen würde. Da habe ich gesagt, dass mir das egal sei. Ich habe das eher auf die Qualität des Fleisches geschoben und mir wurde erst hinterher klar, dass er unsicher war, ob ich nicht Muslima wäre und wollte mir freundlicherweise erzählen, dass ich da gerade Schein gewählt habe. Sehr umständlich, wie ich finde, aber auch irgendwie witzig…vor allem mein eigenes Brett vor dem Kopf…

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  • *thea
    12. Januar 2015 at 09:30

    Ein schöner Text. Vielen Dank für die Gedanken. lg*thea

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  • Frank
    4. Februar 2015 at 17:47

    Hallo, Fadenvogel,
    ein toller Beitrag mit tollen Gedanken.
    Ich habe in meinem Job sehr viel mit Menschen aus Asien, dem Nahen Osten, Afrika und Süd- und Mittelamerika zu tun. Und ich habe mit allen, ganz gleich, welcher Religion sie angehören, durchweg nur positive Erfahrungen machen dürfen.
    Mein Artikel zur Parade erscheint in Kürze ebenfalls, mit ähnlichen Gedanken wie den Deinen.
    Danke für die Inspiration.
    Herzliche Grüße
    Frank

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  • Ann-Bettina
    9. Februar 2015 at 22:19

    Hallo Fadenvogel,
    ein sehr schöner, überzeugender Artikel. Ich glaube, dass die meiste Angst und damit auch der Hass sich aus Unkenntnis speist. Wenn jemand keinen Kontakt zu Muslimen hat, kann man ihm alles mögliche über diese Leute einreden. Er weiß es ja nicht besser. Es ist doch bezeichnend, dass die ***gida-Bewegung ihren Ursprung in den neuen Bundesländern hat, wo es kaum Ausländer gibt.
    LG
    Ann-Bettina

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