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Lisa heißt jetzt Lola…von Romy Hausmann oder wie man einen Psychoalptraum als Coffeeshop-literatur tarnen kann…

Lisa heißt jetzt Lola und lebt in der StadtKennt ihr die Leseproben in den Coffeeshops? Die, die in so netten kleinen bedruckten Kartons neben den veganen Schokoriegeln stehen. Ein Heftchen, dass so aussieht wie das echte Buch und irgendwo am Anfang aufhört. Eine Leseprobe, halt.

Ich habe dieses Konzept nie verstanden. Klar, ich nehme mir auch immer eins mit, es wird in der Tasche zerdrückt und bekommt Flecken. Irgendwann schmeiße ich es mit zerknüllten Kassenbons und Kaugummipapier in den Müll.

Irgendwo sitzt ein Autor und ein Lektor, oder eine Autorin und eine, von der Verlagsmarketingabteilung? Ehrlich, ich habe keine Ahnung, wer den Druck dieser Leseproben beschließt, aber in irgendeiner Welt ist das wohl das Thema eines Meetings gewesen. Einer hochstrebende Autorin wird eine Leseprobe mit einem Coffee-to-go-Becher in die Hand gedrückt und jemand sagt, dass ist unser Give-away für den Bereich Innenstadt. So stelle ich mir das jedenfalls vor.

Was die nicht wissen: Deswegen kauft sich doch kein Mensch ein Buch. Das war jedenfalls meine Meinung zu den Coffee-Leseproben. Ich hielt es für Verschwendung.

Diesmal nicht, dacht ich mir also vor einer Woche, diesmal nehme ich diese Leseprobe mit und kauf mir danach das Buch. Basta.  Zum Beweis  machte ich von dieser Situation en Photo der Coffeebartheke mit der Leseprobe: siehe oben. 

Ich will unbedingt, dass es für dieses Buch jetzt mal klappt und es einen Menschen gibt, der sich nach einem Coffeeshop-Besuch ein Buch kauft. Die Autorin hat meinen Geburtsjahrgang. Romy Hausmann, ich will will will einfach, dass du mir was zu sagen hast. Ich kaufte das Buch also mehr oder weniger blind. Bisschen habe ich reingelesen, es klang lustig. Ich brauche auch was Lustiges, nachdem hier die Zombies eingefallen waren <<klick>>

Lisa oder Lola, mit einem retroblauem Cover. Sieht nach ner Schnulze aus. Schon nach den ersten Seiten fällt einem der massive Alkoholkonsum der Protagonistin ins Auge, schließlich entgleitet ihr mehr als nur einmal die Sprache.

Wahnsinn, ich dachte, das ist ein Frauenroman für den Nachmittagstee…

Ich ging nicht, weil ich nicht wußte, wohin. Ich war eine Gefangene. Die Stadt hatte mich in ihren riesigen Klauen, leckte mir über den Kopf und biss ihn schließlich ab, als wäre ich einer dieser Schokoweihnachtsmänner am Stiel.

Okay, also: Lisa ist 25 Jahre als und verkauft in Shittingen Wurst. Jeden Tag Wurst. Sie ist Fleischfachverkäuferin in einem Nest irgendwo in Bayern. Nein, nicht im Speckgürtel von München, ich meine: im echten Bayern. Das ohne die Alpen. Das ohne die Touristen. Sie spült regelmäßig ihren Kopf in der Stammkneipe mit ordentlich Schnaps durch, das muss sie auch. Lisa hatte es nicht gerade gut im Leben. Eigentlich ist ihr Leben auf dem Nullpunkt und es gibt kein Vor und Zurück. Eines Tages fährt sie Hals über Kopf nach München, nennt sich Lola und strandet in dieser Stadt. Sie wird von einem Glitzermädchen aufgegabelt, trinkt jetzt im Pascha und wird immer wieder aufs Neue mit dem gleichen Mist konfrontiert. Bis sie eines Tages aufhört mit allen und sich ihren persönlichem Kopfkino endlich stellen muss.

Die 10 goldenen Regeln für dieses Buch:

1. Sei ein Freund von Fäkalsprache. Wenigstens ein Buch lang.

2. Steigere dich nicht zu sehr in die Hauptfigur rein, sonst möchtest du sie erwürgen.

3. Ja, diese Stadt kann schon so sein. Glaube es.

4. Ich kenne auch jemanden mit einem Free-Huggs-Schild. Das kann auch wirklich so sein. Meine Freundin ist ein Hippie und macht das. Allerdings glaube ich auch, dass es für Lola genau so wirken kann. Sorry, Julia.

5. Lies es zu Ende und frag dich dann: wie abgedreht, ich habe das echt in einem Coffeeshop mitgenommen. War das wirklich ein Meeting in einem echten Verlag oder hat es die Barista selbst drucken lassen? Ich muss die mir das nächste Mal genauer ansehen…

5. Wenn du die Fäkalsprache überwunden hast, ist es echt gut geschrieben. Tolle Bilder, tolle Metaphern, aber nichts für schwache Nerven…

6. Lass dich vom Cover nicht täuschen, dieses Buch ist keine Zombie-erholung, es ist anstrengend und ich hätte fast geweint.
(Ich muss an meinem öffentlichen Bild arbeiten, ich weine echt fast nie…wirklich)

7. Verschenke es nicht, wenn du es nicht gelesen hast. Könnte äußerst missverständlich sein….könnte Freundschaften beenden.

8. Es gibt einen Hänger in der Mitte. Wenn Lola anfängt, mit ihrem imaginären Penner-Freund zu sprechen, lies immer weiter. Romy hat da mal zwei oder drei Seiten lang an Schwung verloren. Es wird aber wieder.

9. Wenn du gar nicht verstehst, was mit Lola los ist, dann hattest du eine gute Kindheit oder du hast eine gute Kindheit gehabt, aber dir fehlt ein gutes Stück Empathie. Deinen E-Q also bei Unverständnis überprüfen lassen…

10. Liebe Romy, bitte schreibe das nächste Mal über etwas, von dem du offensichtlich was verstehst: Massenmörder, Psychopathen, kleine Jungen, die neugeborene Katzen im Brunnen ertränken…aber tarne diesen Psycho-alptraum doch nicht mit diesem niedlichen kleinem Koffer-Cover…Mal einen Zombie drauf und schreibe einen Titel wie: „Aus Shittingen“ oder „Horror in München“ oder „Glitzermädchen killen nicht, sie saugen dir nur den Augapfel raus…“ egal, auf jeden Fall etwas, das annähernd den Ernst der Lage beschreibt und nicht „Lisa heißt jetzt Lola…“ Dieser Satz hat eine Dimension, die einem erst sehr sehr spät von hinten den Kopf abschlägt…

Sämtliche Gefühle rutschen durch mich wie Durchfall.

P.S. ich benutze einen Link zu amazon, um halbwegs legal das Cover auf meinem Blog zu zeigen. Ihr braucht diesen Link, der erscheint, wenn man die Maus über das Coverbild zieht, nicht benutzen. Er bringt mir auch finanziell eigentlich fast nichts. Kauf das Buch auch gerne im Buchladen um die Ecke.

4 Comments

  • Larissa//No Robots Magazine
    4. September 2014 at 08:52

    Ich habe zwar noch nie Leseproben _gedruckt_, aber durchaus schon welche erstellt. Daher kann ich dir sagen: Das ist eine Marketing-Entscheidung. Und nach meiner Erfahrung haben die Autoren Null Einfluss auf die Cover-Gestaltung (jedenfalls nicht die kleinen). Es ist nicht mal unbedingt gesagt, dass der Grafiker das Buch überhaupt gelesen hat. 😉 Ausländische Titel werden ja auch gerne nach Schema-F übersetzt (alle Skandinavischen Romane heißen neuerdings „Der 2402357-Jährige, der …“, nur weil EIN Buch nach diesem Prinzip erfolgreich war. :p)
    Mit Fäkalsprache habe ich nicht unbedingt ein Problem, aber ich mag es nicht, wenn Dinge übertrieben provozieren. Also ist das Buch wohl eher nichts für mich?

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    • fadenvogel
      4. September 2014 at 20:47

      hmm, Larissa, lass mich überlegen. Nach deinen Erzählungen über imaginäre Tier-freunde in deiner Kindheit wirst du mit dem Lesen dieses Buches eventuell was aus deiner Kindheit aufwühlen. Die Autorin wirft nicht mit vielen Bildern um sich, aber es gab da eins oder zwei, die haben echt gesessen bei mir. Ich fand es gut, mal was anderes, übertrieben ist es nur im Hänger in der Mitte. Wenn du zum Penner-Freund kommst, dann dauert es bisschen bis es wieder Schwung hat. Ich glaube, dieses Buch ist eine tragische Geschichte ohne Mitleid. Mitleid entwickelt man eigentlich nicht, eher Wut, Kopf-abhaken-Gefühle, Verständnis, Schulterzucken…bis zum Ende, da gibt es dann das Kuchen-bild und ich heule. (Wie schon erwähnt, ich muss was an meinem öffentlichen Bild machen, ich kann nicht immer auf meinem Blog schreiben, wann ich geheult habe….)

      Larissa ist sprachlich sehr korrekt, sie verschachtelt sich, gibt ungern Dinge preis. Sie schreibt meistens klug und möchte sich in ihrer Freizeit mit den intellektuell anregenden Dingen beschäftigen. Sie ist keine Radiohörerin, sie kennt die Bands, die sie hört. Sie mag das Kino, auch den Mainstream, aber sie ist da schon kritisch und weiß, was bloß eine Strohfeuer-Unterhaltung ist. Eine Minimalistin im Kulturkonsum, eine für die Delikatessen.

      Dieses Buch ist Wurstbrot, bodenständig, hat von vegan oder vegetarisch noch nie was gehört, da wird in Laken gepinkelt!

      Entweder du liebst es, weil es so anders ist als du und irgendeinen wunden Punkt in deiner Kindheit berührt…oder du magst es überhaupt nicht und sagst Laaaangweilig….Ich tippe eher auf ersteres…aber ich bin bloß ne Blogfreundin, ich kenn dich gaaaar nicht…

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  • Romy
    4. September 2014 at 10:35

    Fadenvogel, ich bin begeistert von deinen Gedanken über meinen Roman. Sofern es in Macht steht, werde ich mich – versprochen – beim nächsten süßen Cover zumindest für einen „Parental Advisory“-Aufkleber aussprechen 😉 Vielen lieben Dank für deine Rezension!

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    • fadenvogel
      4. September 2014 at 20:54

      Oh, Hallo Romy Hausmann. Freut mich, dass dir mein Blick gefallen hat. Mir hat dein Roman auch gefallen. Hoffentlich machst du weiter. Viel Erfolg auf jeden Fall und wenn du wüsstest, wie krass diese Kuchengeschichte mit dem vollgekotztem Laken am Ende für mich war. Ich hatte eine glückliche Kindheit, echt jetzt, meine Mama ist toll, aber sie hat mal für einen Bazar so Schokoladendatteln gemacht, die verkauft werden sollten….hmhmhmhm….das Gefühl mit dem Kuchen, das kenne ich…und ich habe mich mit einem Schlag wieder daran erinnert…dann war ich aber auch gleich wieder bei Lola…

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