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Kleinigkeiten vom Leben auf dem Land

Stadtluft und LandlebenIch komme aus München. Ich bin da geboren worden und bis auf ein Jahr in Berlin, habe ich auch immer dort gelebt, studiert, gearbeitet, bin unglücklich dort gewesen und glücklich. Jetzt wohne ich noch nicht mal mehr in einem Dorf. Wenn ich aus dem Wohnzimmerfenster sehe, dann sehe ich kein Haus mehr, nur die Berge. Liegt vielleicht auch daran, dass wir auf einem Hügel wohnen, aber egal. Wobei man München ja auch gerne provinziell nennt. Aber es ist trotzdem irgendwie schon eine Stadt.

Wer von der Stadt auf´s Land zieht, der macht sich da seine Gedanken. Was anders werden wird, vor allem auf welche Dinge man keinen Einfluss hat und sie ungewollt anders sind. Wie die Menschen da so sind. Wen man trifft und wen nicht mehr. Der Kulturschock blieb aus. Ich kenne das bayerische Land. Ein bisschen aufgewachsen bin ich hier schon – als Wochenendfahrerin, als unverbindlicher Gast. Doch einige Uhren ticken doch anders, wenn man hier richtig und echt wohnt. Ich blicke auf Details für euch. Kleinigkeiten, die mir auffallen.

Eine Freundin von mir hat mir mal gesagt, dass ihr Sohn die Stadt brauche. Die Neutralität der Stadt und damit meinte sie, dass den Menschen, die irgendwie anders sind, mehr Toleranz gegenüber gebracht wird. Ich glaube inzwischen, es ist vor allem Gleichgültigkeit. Und da kommt es schon darauf an, wo in München man wohnt. In meinem Münchner Innenhof ging es auch zu wie Sonntags nach der Kirche. Aber die Geschichten waren kurz, man ist sich begegnet und ist wieder verschwunden. Grad das man wußte, aus welcher Stadt jemand hergezogen sei. Hier sind die Geschichten länger, es werden ganze Familienchroniken erzählt. Die Leute wissen so unglaublich viel voneinander. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass sie intoleranter sind. Ein Beispiel.

Ich sitze an einem Tisch mit anderen Mütter und mache einen Scherz über ein Mädchen von jemanden. Der Scherz ging irgendwie so, dass ich unterstellt habe, dass das betreffende Kind sich dann gut gegen ihre zukünftigen Freunde durchsetzen kann. Ihre männlichen Freunde, sozusagen. Die Mutter lächelt und sagt, dass sie sich da gar ned so festlegen würd, weil sie dad ja auch vielleicht a Freundin mal ham. Die anderen pflichten ihr bei und äußern sich bissig über Familien, denen man nicht zutraue, gut mit einem homosexuellem Kind umzugehen. Ja, sag ich, und mir fällt meine Freundin ein, die auf die große Toleranz der Stadt gepocht hat bei meinem Wegzug. Dumme Menschen gibts überall, coole Socken auch. Is halt alles nicht so schwarz und weiß.

In meinem Münchner Innenhof wohnte ich im Parterre. Eigentlich konnte mir die ganze Nachbarschaft ins Wohnzimmer schauen. Aber die Menschen sind sehr dezent. Es wurde stets ein höfliches Desinteresse an meiner Inneneinrichtung zum Ausdruck gebracht. Manchmal hab ich die Menschen beim Vorbeigehen beobachtet. Kaum jemand hat mir offen ins Zimmer geblickt. Man lief eher mit gesenktem Kopf daran vorbei. Überrascht war ich von der Ostseite unseres Hauses – da ist nämlich mit einigem Abstand eine Strasse, auf der man mit 100 Sachen fahren darf. Da fahren viele auch mit 100 Sachen vorbei, aber einige fahren im Schneckentempo, um möglichst was zu sehen. Manchmal winke ich dem Auto zu und wundere mich. Eigentlich finde ich es unhöflich. Im Schneckentempo in ein fremdes Haus zu blicken. Aber was in der Stadt ein heimlicher Blick war, ist auf dem Land ein gerades Starren. Man wird sich wohl noch interessieren dürfen. Das ist ein Detail, das mir echt aufgefallen ist.

Ein anderes ist das Grüßen. Hier wird gegrüßt. In München habe ich auch manchmal gegrüßt – alte Frauen, die im Schlurfgang an mir vorbei gegangen sind. Da habe ich dann kurz genickt. Gefreut haben sie sich meistens. Aber eine Pflicht war das nicht. Es sind ja auch zu viele Menschen auf der Straße. In den Dörfern hier wird sehr wohl gegrüßt und es ist auch ein Punkt, über den man sich aufregt, wenn man´s nicht macht. Zugegeben, ich finde es auch seltsam, wenn mir eine Mutter begegnet, ich *hallo* sage, weil wir uns halt kennen, und es kommt nichts zurück. Ich schiebe es aber eher auf die mütterliche Butter im Kopf, die manche von uns halt morgens wirr werden läßt, aber es fällt hier mehr auf und ins Gewicht. Nicht zu grüßen bedeutet etwas. Es bedeutet Hochnäsigkeit, gute alte Hochnäsigkeit. Nicht zu grüßen ist ein No-go.

Fahrradfahren ist hier kein zweckmäßiges Fortbewegungsmittel mehr. Eine Alternative für alle. Fahrradfahren ist Sport und wird hauptsächlich von männlichen Touristen in Thermo-unterhosen kurz vor der dritten Midlifecrisis ausgeführt. Mitten auf der Schnellstraße. Diese neuen Fahrradfahrer sind mir völlig fremd und ich bin etwas überfordert. Klar, es gibt wohl auch die Sportler-Fraktion in München ,aber bitte….das sind neben den Müttern mit Fahrradanhänger, den Studenten in Cordhosen und den Bürotanten im Kostüm eher die belächelte Minderheit. Am Anfang habe ich noch versucht, mein eigenes Fahrrad als passables Fortbewegungsmittel zu sehen, aber das ist schnell vorbei gegangen. Die Distanzen sind zu groß. Ich schaffe meine Touren gar nicht ohne Auto. Jetzt sind nur noch die Sportler im Rentenalter übrig und ich beäuge sie immer noch mit meinen erstaunten Stadtaugen. Ihr seid also die Fahrradfahrer hier. Ah, ja.

Am Wochenende hatten wir Besuch. Jemand, der ganz und gar auf dem Land aufgewachsen ist und gelacht hat über meine Beobachtungen und noch ein Unterschiedsdetail in die Waagschale warf. Das Nach-Hause-kommen. Die Leute bringen sich nach Hause, weil sie ohne Auto nämlich gar nicht mehr nach Hause kämen. In der Stadt, in der er jetzt lebt, findet er es seltsam, dass das nicht mehr so ist. Dieses automatische gegenseitige Nach-Hause-bringen. Ja, das ist mir auch schon passiert. Das mich jemand nach Hause gefahren hat. In München gab es das beim besten Willen auch nicht. Grad, wenn jemand nach einem Date sich als besonders romantisch darstellen wollte, gut, dann hat er dich in einem Nachtspaziergang bis nach Hause begleitet, aber so unter Freunden? Machte überhaupt keinen Sinn, jeder kam immer mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu sich. Hat auch keiner mal gefragt, wie man denn nach Hause kam. Hier bin ich fast aus allen Wolken gekippt, als ich wie selbstverständlich nach einem Treffen nach Hause gefahren wurde. Versteht mich nicht falsch, ich glaube schon, dass hier bereits Freundschaften wachsen, aber ich hätte es nicht als unhöflich oder unmöglich erachtet, wenn das Nach-Hause-bringen irgendwie doch nicht geklappt hätte. Gut, ich habe auch gefühlte hundert Mal nachgefragt, ob sie das denn jetzt auch wirklich macht nachher. Ich konnte es nicht glaube, weil es ja schon ein Umweg ist. Wenn es doch nicht geklappt hätte, wär ich überhaupt nicht böse gewesen. Deswegen wär ich am nächsten Tag dennoch davon ausgegangen, dass wir befreundet sind. Irgendwie. Bin ich ja auch gewöhnt so. Wenn das letzte Bier ausgetrunken ist, der letzte Lacher gelacht – dann schaut jeder auf sich selbst und seine Verbindung zur eigenen Haustür. Da hat mich dann unser Besuch scharf unterbrochen und gemeint, dass es doch völlig egal sei, wie lange man dann noch fährt, wenn man halt Autofahren kann und dann bringt man die Leit, die mit einem lachen, doch wohl nach Hause, wenn sie kein Auto dabei ham. Das sei doch kein großes Ding. Doch, sag ich, des ist schon ein großes Ding. Für mich altes Stadtkind zumindest.

Ihr seht, ich mag es hier. Auch mit den Schneckentempo-Autos und den windschnittigen Fahrradfahrern. Vielleicht papp ich auch vorne am Eingang ein Info-Schild mit integrierter Kaffee-Einladung hin, damit es sich richtig lohnt für die Neugierigen und fange an, einen Stand mit selbstgemachte Limonade zu bauen für die Fahrradfahrer. Man muss sich ja bisschen an die Gegebenheiten anpassen.

Habt ihr ähnliche Kleinigkeiten erlebt? Kennt ihr ganz andere Landstriche, die sich schwer tun mit den Zugezogenen? Kennt ihr andere Geschichten vom Land und von der Stadt? Macht nur Stadtluft frei? Oder sind die Landeier besser als ihr Ruf?

 

7 Comments

  • carmen
    20. April 2016 at 14:00

    Ich bin ganz und gar auf dem Land aufgewachsen und ich kenn das auch so mit dem Heimbringen….

    Was für mich noch einen Schritt weiter geht, aber genauso selbstverständlich ist: Ich würde für fast jeden, den ich auf meinem Heimweg zu Fuß gehen sehe, stehen bleiben und sie mitnehmen. Ich bin selbst oft genug in meiner Gymnasium-Zeit zu Fuß nach Hause aufgebrochen und habe darauf vertraut, dass mich schon jemand einsammeln wird. – Selten bin ich länger als 500 m gegangen.

    Es freut mich, dass du dich schon so heimisch fühlst und angekommen bist in eurem neuen Zuhause.
    Lg Carmen

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    • fadenvogel
      21. April 2016 at 11:30

      Oh, wow. OK, cool. Ich sehe schon, da wird es noch *kulturelle* Überraschungen für mich geben….

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  • *thea
    20. April 2016 at 14:06

    Ich bin ein Kind aus beiden Welten, halt andersrum wie du. Eindrücke von einem Landkind: Wenn die Oma sauer auf dich ist, weil du die Schmitts Gertrud nicht gegrüßt hast – (ich weiß aber doch gar nicht wer die Schmitts Gertrud ist? Aber die Oma halt:-) Als Erwachsene in der Stadt: Warum weiß hier keiner, warum die Spülmaschine undicht ist? Warum braucht man für alle einen teuren Handwerker? Warum bin ich so hilflos mit diesen Sachen? In der Stadt wählt man sich seinen Freundeskreis direkt aus und meistens ähneln sich die Leute alle – so habe ich um mich nur fast nur Akademiker mit Bürojobs oder Freelance – während ich aufm Land einmal auf der Spielmannszug-Probe frage und gleich nen Installateur, Elektriker und Mauerer auf einmal mit in meine Küche zur Problemlösung nehmen kann.
    Dafür muss ich mir in der Stadt nicht auf Festen etc. von jedem seine Meinung über Flüchlinge, Homosexualität etc anhören auch wenn ich nicht die gleiche habe und ich mich nicht so offensiv vergleichen lassen muss – Hastes gehört? Die haben jetzt den teuren Marmorboden im Haus tsts…
    Ja es hat alles seine vor und Nachteile – und ich bin froh, dass ich beide kenne. Denn auch wenn ich es nicht auschließe, einmal wieder aufs Land zu ziehen bin ich doch froh, einmal raus aus dem Dorf gewesen zu sein.

    P.S. Bei meinem Heimat-Dorf haben es Zugezogene leicht, wenn sie sich integrieren und dem anschliießen, was man macht. Also Kirche oder Musik oder Sportverein – wenn man dann mal am Fest hilf wird einem auch geholfen – aber Loyalität wird schon erwartet, man kann dann halt nicht alle zwei Jahre sein Hobby wechseln 😀

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    • *thea
      20. April 2016 at 14:13

      Achso das wollte ich noch schreiben: Es scheint, dass du richtig angekommen bist – und die Vorzüge des Landlebens genießt, das freut mich für dich. Und das gute ist ja, die Stadt ist nicht ganz so weit weg, falls du mal Lust auf einen Stadtbummel bekommst 😉 Vielleicht fallen dir ja noch ein paar Eigenheiten auf- finde ich sehr interessant zu lesen – LG

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    • fadenvogel
      21. April 2016 at 11:41

      Ja, da hast du bestimmt recht. Die grundlegenden Strukturen sind hier aber schon vorhanden. Im Westend habe ich Treffen organisiert zwischen Mütter mit Zwillingen und habe mir so meine soziale Struktur selber schaffen müssen. Am Ende konnte ich auch nicht mehr rausgehen, ohne jemanden zu treffen, den ich kannte. Bisschen dörflich war es bei uns also auch. Das ist aber in der Mütter-Society auch ne ganz eigene Nummer. Hier existieren diese Strukturen schon und ich versuche, mich helfend einzubringen. Um schlichtweg was für meine Kinder zu tun, aber auch, um selbst Anschluss zu kriegen. Da kommt niemand auf dich zu und sagt: so, du machst jetzt des oder des. da muss man schon die Hand heben und sagen, dass man was übernehmen kann. Finde ich aber normal. Ich kriege manchmal aus München noch Anfragen zu Zwillingstreffen und ich schreibe immer zurück, wie ich das damals organisiert habe und was ich ihnen rate, zu machen. Keine Ahnung, ob das den Leuten nicht zu anstrengend ist. Wenn die sozialen Strukturen schon vorhanden sind, finde ich es einfacher. Aber selbst aufstehen und was machen, das muss man immer – egal wo.

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  • Pamela
    20. April 2016 at 22:47

    Ja, das mit dem Heimbringen kenne ich auch. Das lernst man als Landei von klein auf, weil man hier halt für fast jede Besorgung ein Auto und damit einen Fahrer braucht. Als bei uns das mit dem Partyfeiern los ging wurde im Vorfeld ausgemacht wer fährt und deshalb keinen Alkohol trinkt, egal in Disko, Faschingsball oder Volksfest einer blieb nüchtern. Weil aber am Ende meistens mehr Personen irgendwie noch Hause mussten als in einem PKW Platz haben, musste der Fahrer oft mehrmals fahren … Das war für uns aber irgendwie selbstverständlich, weil man ja keinen auf der Straße sitzen lässt. Einmal hatte ich um 3:00 Uhr schon die dritte Runde hinter mir und wollte nur noch heim. Bei der letzten Fahrt waren wir trotzdem einer zuviel, wir haben beschlossen, er muss in den Kofferraum ?. Wie hätte es anders kommen können, natürlich hat mich die Polizei aufgehalten. In meine jugendlichen Naivität hab ich dem Polizisten erklärt, dass mir doch gar nix anderes übrig geblieben sei, weil fahren hätte derjenigen nimma können und auf der Straße hät ich ihn a need zurücklassen wollen … Daraufhin meinte die Polizei, dass ich recht hätte und schaun solle, dass alle gut heimkommen. Also sind wir weitergefahren ?.

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    • fadenvogel
      21. April 2016 at 11:42

      DAS ist definitiv eine Geschichte vom Land….:-)

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