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Die Schere im Kopf: #regrettingbloggerhood

#regrettingbloggerhoodEin eben nicht handelsüblicher Familienblog (I Love Noch ne Muddi) hat die Frage nach der Schere im Kopf gestellt. Die Schere, die man selber hat, wenn man öffentlich seine Alltagsgeschichten ins Netz trägt.

Ob das denn ein Problem wäre. Ob man schon mal bereut habe, dass man bloggt.

Zugegeben, ich habe auch schon Beiträge von öffentlich auf privat umgestellt, vor allem aber deswegen, weil das Thema des Blogs sich über die Zeit verändert hat und manche Beiträge einfach keinen Sinn mehr machten.

Erzähle ich im privatem Umfeld viel davon? Keine Ahnung, ich mache jetzt kein Geheimnis draus. Ich lade auch mache meiner Freunde direkt ein, hier mitzulesen. Aber es ist nicht das erste, was mir einfällt. Manchmal erzähle ich aus praktischen Gründen von meinem Blog. Wenn ich ein Foto mache von einem komischen Blickwinkel aus – nur Hände oder absichtlich ohne Gesicht.

Aber das ist auch kein Familienblog. Hier sind an die 250 Artikel angesammelt, unter 50 davon handeln von Erziehung, Kindern oder dem ganzen Kram. Ich glaube, dass das schon einen Unterschied macht. Letztendlich blogge ich über Randthemen aus meinem Leben. Etwas, was ich einer Freundin erzählen würde. Mal ein Buch gelesen, mal einen Film gesehen, mal ein Rock genäht. Der Blog ist der Ort, an dem ich mich parke und auf die Dinge schaue, die mich interessieren. Schließlich geht es sonst immer um die anderen.

Aber meine Schere gibt es doch. Manchmal, wenn ich über irgendein Nähprojekt schreibe oder meine Kaffeetasse fotografieren, dann komme ich mir vor wie in einem Werbefilm der 50er Jahre. Ich mag manchmal nicht, welches Frauenbild ich hier unterstütze. Oder denke, dass ich es unterstütze. Diese ganzen Frauenthemen hier. Alles schön weiblich. Alles weich. Wird Zeit, dass ich über Menstruationsprobleme blogge.

Aber meine Schere gibt es doch. Manchmal, wenn ich so schreibe, kommt doch der Leser auf und rollt die Augen. Alles so Butter bei dir. Harmonisch, glücklich, wieder ein Werbefilm. Wann haste denn dafür Zeit? Arbeitest du nicht wirklich? Leben deine Kinder im Schrank? Sieht es bei dir aus wie Sau? Ich komme mir vor wie ein Teenager und vor mir steht ein dreizehnjähriges Mädchen und fragt gelangweilt: Ach, bei dir ist das so? Ach ja? Da frage ich mich dann schon, ob ich nicht übertreibe. Ob ich nicht eine Art Seelen-selfie hier mache, um möglichst toll zu wirken. Ob ich nicht lieber die Klappe halten sollte, denn Selbstlob stinkt ja bekanntlich.

Aber meine Schere gibt es doch. Manchmal, wenn ich so schreibe, kommen mir die Leute in den Sinn, die mich so kennen. So privat. Dann überlege ich mir, was die wohl denken. Oder denken könnten. Ob ich jemanden auf den Schlips trete. Unabsichtlich. Oder ob die auch mit den Augen rollen und sagen: Guck mal, für was die Trulla hier wieder Zeit hat. Kommt sie sich wieder mächtig geil vor mit ihrer Nähmaschine, der Kindererziehung und dem ganzen Kram.  

Aber meine Schere gibt es doch. Die Welt um mich herum ist es, die mich manchmal am Bloggen zweifeln lässt. Nicht die kleine Welt, die große. In der Kinder verdursten, in der Menschen sich auf Schlauchbooten übers Meer fahren lassen, in der Beiträge über Familien in ausgebombten Straßenzügen hämische Kommentare ernten und in der der Rassismus wieder salonfähig geworden ist. Das Internet ist zu einem Ort des Hasses geworden. Kann man hier noch Frühjahrsdiäten posten oder Strickmodelle? Wie eine römische Patrizierin stelle ich im Netz meine Traubenschale zur Schau und komme mir manchmal dumm dabei vor. Ob ich unbewusst mit dem Veröffentlichen vom satten reichen Leben nicht das Bild einer Welt hochhalte, das angefüllt ist mit Selbstverliebtheit, Oberflächlichkeit und dem privilegiertem westlichen Leben.

Führen diese Gedanken dazu, dass ich das Bloggen bereue?

Bereuen ist ein zu schweres Wort. Im Endeffekt habe ich mehr positive Begegnungen durch meinen Blog gehabt als negative. Und die negativen waren nicht so heftig für mich, dass ich irgendwas grundsätzlich bereuen würde. Ich glaube, den meisten Bloggern geht es nach wie vor um Austausch, um Vernetzung, um eine positive Begegnung.

In diesem Zuge habe ich mich gefragt, ob ich zensiere. Zensur ist etwas, was veröffentlicht werden will, es aber verhindert wird. Aus den falschen Gründen verhindert. Von den falschen Leuten. Das ist ja nicht so. Kein Mensch redet mir hier groß rein, aber ich halte es da mit dem guten Grundsatz: Meine Freiheit endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt. Rede ich also von anderen oder über andere, dann mache ich mir klar, was das für mich heißt – vor allem in Bezug auf Kinder. Ich schreibe meine Artikel bewusst und hoffe, dass meine Definition für sie am Ende stimmig sein wird. Das gilt auch für Geschichten, die mir Freunde erzählen. Manchmal frage ich direkt nach, was ich verwenden darf. Ob es sie stört, wenn ich aus diesem oder jenem einen Artikel schreiben würde. Meistens ernte ich ein Schulterzucken. Es gibt auch die Variante, dass ich mehrere Geschichten zusammenfasse und damit Fiktion und Fakten zum Schutz der betroffenen Personen mische, um den wahren Kern darstellen zu können.

Es gibt hier also keine Zensur. Ich schreibe, was ich denke, was ich sehe und was ich erlebe. Meine Scheren drehen sich eher um Selbstzweifel und Selbstbild. Ich muss manchmal damit zurecht kommen, dass ein Blog nur eine Momentaufnahme ist, ein Bild aus eine Sommertag, ein Lächeln, ein Satz dazwischen. Zwischen was? Na, zwischen dem echten Leben. Zwischen jetzt und nachher. Ich denke manchmal, ob die Menschen aus meinem Seelen-selfie nicht die falschen Schlüsse ziehen und sagen, dass ich oberflächlich wäre, weil es mir selbst manchmal zu hübsch vor kommt alles. Weil ein Blog eben nur ein sprechendes Bild ist, es ist nicht das Leben. Und wie bei allen Bildern kann niemand wirklich beeinflussen, was der Betrachter darin sieht. Aber das ist Teil des Spieles.

11 Comments

  • Roxy
    9. April 2016 at 19:29

    Das hast du ganz ausgezeichnet gesagt! Mih beschäftigen oft die gleichen Sachen: denken alle ich würde in den 50ern leben? Aber wenn doch meine Hobbies so sind wie sie sind… Was wäre daran falsch?
    Und was ist mit den Leuten über die ich manchmal schreibe? Ist das komisch für die?
    Meine Schere schneidet dann, wenn sich jemand durch meinen Text bloßgestellt fühlen könnte. Da hab ich schon den einen oder anderen Text, als er schon fertig war, nicht veröffentlicht.

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    • fadenvogel
      9. April 2016 at 22:21

      Ich musste jetzt mal kurz nochmal nachdenken: ja, einen Text habe ich tatsächlich aus diesen Gründen auch nicht veröffentlicht. Da habe ich aber auch in Wut geschrieben und dann am nächsten Morgen nochmal darüber sinniert und dann ging es mir zu weit. Freiheit endet halt eben dort wo die andere Freiheit beginnt.

      Danke, dass du mir da zustimmst mit dem Frauenbild. Ich kann jetzt auch nicht mit nem *männlichen* Hobby meinen Blog entgenderisieren. Geht halt nicht.

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  • carmen
    10. April 2016 at 09:47

    Ich blogge nicht, hab also noch nie so darüber nachgedacht. – Ich lese deine Beiträge aber sehr gern, eben weil sie nicht dem klassischen Latte-Mama-Nähblog mit den quietschbunten Fotos ähneln. Deine Beiträge bringen mich oft zum Nachdenken, sie bleiben definitiv länger hängen als andere und lösen mehr aus.
    Das, was die anderen Menschen online von uns mitbekommen, ist doch nur das, was wir entscheiden zu zeigen. Ich habe mich erst letztens scherzhaft mit meinen Freunden gefragt, was die NSA wohl von uns denken würde, wenn sie unseren Google-Suchverlauf anschauen würde
    lg

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    • fadenvogel
      10. April 2016 at 10:39

      Danke. Ich freue mich auch, dich als Leserin zu haben. Dank deiner Kommentare habe ich auch ein bisschen Ahnung von dir, auch wenn du keinen Blog hast. Du bist irgendwas mit Pädagogik, ich denke, du arbeitest in einem Kindergarten.

      Es ist aber auch manchmal komisch, vor allem im weiteren Umfeld. Die nicht täglichen Freundschaften, die man führt. Manchmal veröffentliche ich einen Artikel und eine Freundin schreibt mir über whatsapp: Oh, du bist im Zoo? Nein, schreibe ich dann zurück. Ich war letzte Woche im Zoo, der Artikel erscheint nur heute. Oder ich sitze im Café und erzähle, dass wir jetzt dann in unser neues Haus ziehen. Das sei jetzt dann bald fertig, aber – als ich grad von den Bauschwierigkeiten anfange zu berichten – hebt sie überrascht den Kopf und sagt: Mann, davon habe ich ja gar nichts im Blog gelesen. Ja, sage ich dann, ich habe auch nichts übers Hausbauen geschrieben. Das Thema wurde ausgelassen. Und sie entschuldigt sich fast und sagt: Klar, du musst ja nicht über alles schreiben. ich hatte das Thema aber irgendwie nicht auf dem Schirm, weil es eben nicht im Blog vorkam. Ufff. Da fängt man sich schon an zu fragen, was das mit den Freundschaften so macht hier. Was für ein Selbstbild man vermittelt. Im Endeffekt ist es jedem klar, dass das kein Minutenbericht aus meinem Leben ist, aber auf lange Sicht muss man aufpassen, weil es verleitet, mich nicht mehr nach meinem Leben zu fragen – kann man ja im Blog alles lesen. Ein Blog ersetzt kein echtes Gespräch. Keine echte Freundschaft. Die meiste Zeit klappt es aber ganz gut. Da sprechen mich meine Freundinnen dann an und der Blog fungiert nur als Kommentar, als Aufhänger zum echten Leben. Oder sie lesen ihn gar nicht. Und unsere Freundschaft existiert völlig außerhalb. Das gefällt mir manchmal auch.

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  • Hana Mond
    10. April 2016 at 10:35

    Das Schöne an unserer Gesellschaft (und etwas, was im/am Feminismus oft falsch verstanden wird) ist ja, dass Frauen gern ein 50er-Jahre-Rollenbild leben dürfen, wenn sie es wollen. Es ist völlig okay, nähende Hausfrau und/oder Mutti zu sein, liebend gern Kuchen zu backen und ausschließlich rosa zu tragen, und es ist auch völlig okay, dieses Rollenbild im Internet als „so lebe ich und finde das gut“ darzustellen. Solange man nicht abwertet, dass andere Menschen so nicht leben möchten. Solange man auch Töchtern sagt „Astronautinnen sind cool!“ und Söhnen „Ballettänzer sind cool!“
    Über schöne Dinge zu bloggen heißt ebenso nicht automatisch, vor den schlimmen Dingen dieser Welt die Augen zu verschließen, und mit diesen schönen Dingen aufzuhören macht die Welt nicht besser – kein Flüchtling wird dadurch vorm Ertrinken gerettet, dass irgendwo ein Beautyblog offline geht. Von diesem Gedankengang wäre sonst ja viel mehr betroffen als Blogs: Da arbeiten Menschen nicht nur als Lehrer, Ärzte, Polizisten, Landwirt sondern auch als Kosmetikerin und Friseur – dabei könnten sie doch als Ärzte ohne Grenzen irgendwo helfen! Aber es muss auch Schönes geben in unserer Welt, auch das hat seine Daseinsberechtigung, und vielleicht lesen ein paar Flüchtlingshelfer, Notärzte, Feuerwehrleute abends nette kleine Schöne-Dinge-Blogs zur Entspannung und sind froh, dass es auch das im Netz gibt und nicht nur Informationen über Leid und Elend.
    Was die perfekte Welt-mit-Nähmaschine-und-Erziehung angeht – ich les ja immer gern Blogs, die auch von Problemen und Scheitern erzählen. „Hier ist mir das nicht gut gelungen“ – „auch mir fällt es nicht immer leicht, die Kinder nicht anzuschreien“ – „das Nähstück ist leider ein Teil für die Tonne geworden“. Da stellst du ja durchaus dein Leben so dar im Gegensatz zu manchen Instagram-Welten, in denen immer frische Blumen neben dem gesunden Trend-Frühstück auf dem kreativ dekorierten Tisch stehen …

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    • fadenvogel
      10. April 2016 at 10:42

      Danke! Ihr wisst ja gar nicht, wie gut mir diese positiven Rückmeldungen grad tun. Ich war grad in ner Krise mit diesem Blog, habe ihn umgebaut und am Ende des Tunnels erreichen mich jetzt so schöne Lichtsätze. Das ist so wunderbar. Danke. Danke. Danke.

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  • uli
    10. April 2016 at 21:58

    Ich muss dir ja nicht schon wieder sagen, wie sehr ich deine Texte schätze 😉 Ich habe auch nie das Gefühl, dass ich in den 50er Jahren gelandet bin, schließlich gibt es kein Foto von dir mit Rüschen-Küchenschürze 😉

    Ganz ehrlich gesagt, verstehe ich die Sache mit dem Frauenbild auch gar nicht – darf man als emanzipierte Frau denn nicht gerne nähen, kochen, Kinder erziehen?

    Mir persönlich ist es im Grunde egal, was Leute über mich denken – dass ich nicht jedermanns „Ding“ bin, ist mir auch klar, will ich gar nicht sein – und blog-content-mäßig mach´ ich mir eigentlich auch keine Gedanken, weil die betroffenen Personen, Gruppen etc. haben das sicher davor schon von mir persönlich gehört.

    Also: du sollst/darfst/musst/kannst nicht mit dem Bloggen aufhören und mir ist es auch schnurzegal, über was du schreibst (ok, Geschichte brauch ich nicht 😉 – es ist immer schön, bei dir vorbei zu schauen *schleimermodusoff* 😉

    glg Uli

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    • uli
      10. April 2016 at 21:58

      achja: das neue Layout vom Blog gefällt mir.

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    • fadenvogel
      10. April 2016 at 22:47

      Danke! Das tut natürlich gut. Haha, ja, die Geschichte hat dir glangt, weiß ich. Vielleicht sollte ich wirklich die anderen (noch) weiter weg schieben und mir regelrecht verbieten, alles immer so zu hinterfragen. Aber das Tal is ja jetzt auch überwunden, ich blicke wieder in die Berge – rüber zu dir!

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  • Larissa//No Robots Magazine
    13. April 2016 at 11:55

    1. Ich habe auch oft Skrupel, meinen Blog Leuten gegenüber zu erwähnen oder ihn auf meiner privaten Seite zu posten. Dann denke ich auch oft, dass die Leute mich für öffentlichkeitsgeil halten. Vielleicht bin ich das ja?
    2. Ja, bei mir sieht es oft aus wie Sau. Ich habe eben Prioritäten. Erstens: mein Kind. Zweitens (oder Drittens?): Ich und meine Bedürfnisse und meine Karriere. Irgendwo weiter hinten: der Haushalt. Ist eben so.
    3. Ich habe dich noch nie für oberflächlich gehalten. Im Gegenteil. Manche Artikel interessieren mich dann eben weniger als andere. Das ist doch normal.

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    • fadenvogel
      13. April 2016 at 12:37

      Ja, das mit dem Öffentlichkeitsgeil kenn ich. Manchmal passte es eben auch nicht, ihn zu erwähnen. Dann fällt er mir doch ein und ich bremse mich aus. Ich erwähne ihn nicht im Gespräch, wenn ich das Gefühl habe, ich würde was verkaufen wollen. Mich anbiedern. Das mag ich auch nicht und so soll mein Blog ja auch nicht sein. Scheiß auf Reichweite. Hauptsache, es macht Spaß.

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